Wir brauchen mehr Utopien – Erste Eindrücke vom Bloggercafé (#tn16)

von Anne Aschenbrenner & Marc Lippuner //

IMG_8161Am 8. Mai haben wir bei der diesjährigen „Theater und Netz“-Konferenz – veranstaltet von der Heinrich Böll Stiftung und nachtkritik.de – das Bloggercafé zum Thema Blogger-Relations und Influencer-Marketing betreut. Das analoge wie digitale Interesse war tatsächlich so groß wie erhofft. Vor uns liegt nun nicht nur jede Menge Arbeit, sondern auch das gute Gefühl, dass Ideen entwickelt werden können, wenn man ihnen Platz und Rahmen gibt.
An dieser Stelle daher ein Dankeschön an Christian Römer (Referent für Kultur und Neue Medien in der Heinrich Böll Stiftung) und Esther Slevogt (Geschäftsführerin von nachtkritik.de) sowie ihren Kolleg_innen und Mitarbeiter_innen, die ermöglicht haben, dass das Bloggercafé zu einem gemütlichen, lebendigen und kreativen Ort werden konnte, an dem Blogger_innen, Theatermacher_innen, PR- und Marketingverantwortliche und Intendant_innen ins Gespräch kommen konnten. Danke daher auch an all jene unter Euch, die die Diskussion analog vor Ort und digital auf Twitter bereichert und am Köcheln gehalten haben.

Das Bloggercafé als World Café und Open Space

Das Konzept eines World Cafés (diese Methode ist von Christian Henner-Fehr für das nächste stARTcamp in Wien als alternatives Format zu den herkömmlichen Sessions angedacht) hat sich bewährt: An vier Tischen haben wir vier Fragen zu Blogger-Relations und Influencer-Marketing im Theaterbereich in die Runde gelegt:

Wie können Blogger_innen zum fixen Bestandteil einer Theatercommunity werden?

Was erwarten Blogger_innen vom Theater und umgekehrt?

Wie profitiert das Publikum von Bloggerrelations?

Und: Welche Utopien haben wir eigentlich? Wie könnte eine optimale Zusammenarbeit zwischen Theatern und Netz aussehen, wenn es keine Hindernisse, keinen Ressourcenmangel oder ähnliches gäbe?

Vier „Gastgeber“ betreuten je einen Tisch (Sascha Krieger und Holger Kurtz, Euch vielen Dank für diese Unterstützung!), die rund 20 Teilnehmer_innen teilten sich zu Beginn der „blauen Bloggerstunde“, wie die Veranstalter unseren Workshop betitelt haben, in vier gleich große Gruppen auf. Jeweils sieben Minuten gab es, um eine Frage zu diskutieren, dann wurde gewechselt, nur die Tischdame bzw. die Tischherren blieben sitzen und moderierten die Diskussion in die neue Gruppe hinein. Aus diesem Zeitdruck ergab sich ein lebhaftes Diskutieren, ein Austausch im eigentlichen Wortsinn. Viele Schlagworte und Ideen wurden an die vorbereiteten Stellwände gepinnt – auf Reflexion und Zusammenfassung, die sich jedem World Café anschließen, haben wir bewusst verzichtet: Das Bloggercafé sollte den ganzen Konferenztag über geöffnet bleiben, und so erweiterten wir nach dem Workshop den Rahmen. Der Platz vor dem großen Konferenzraum, wo wir die vier Tafeln mit den gesammelten Ideen aufstellten, erwies sich mit seinen Tischchen und Fauteuils als ideal. Das Bloggercafé war von uns und vielen der Kulturblogger_innen, die wir im Vorfeld schon in den sozialen Netzwerken vorgestellt hatten, durchgehend besetzt. Hier wurde weiter über Blogger-Relations und Influencer-Marketing diskutiert, weitere Ideen kamen hinzu, einzelne Aspekte konnten intensiver besprochen werden.

IMG_8186Das Bloggercafé etablierte sich aber auch über unseren bewusst sehr eng gesteckten thematischen Rahmen hinaus und wurde während der gesamten Konferenz zu einem Dialograum, zu einem Rückzugsort für lange und gute Gespräche: über das Verhältnis von Theaterkritik und Theater für junges Publikum beispielsweise, über Veränderungen und Auswirkungen des Digitalen auf das Theatermachen, über den mangelnden Mut, Neues auszuprobieren oder über Aspekte der Gamification für die Zukunft des Theaters.

Betreut haben wir unser Bloggercafé natürlich auch digital. Stück für Stück wurden die Ideen von den Plakaten ins Netz getragen (#bloggercafé), wo sie regen Anklang fanden und Diskussionen auslösten.

Erste Eindrücke

Eine komplette Zusammenfassung kann in diesem Blogpost nicht gelingen, zu sehr ist alles miteinander verwoben, zu vieles sollte und wird separat betrachtet werden müssen. So beschränken wir uns hier auf das Augenfällige, das – so glauben wir – die wesentlichen Punkte benennt.

Besonders auffällig ist, dass es sowohl den Blogger_innen als auch den Theaterleuten an konkreten Visionen mangelt, wie eine spannende Zusammenarbeit, ein lohnendes Miteinander aussehen kann. Alle wollen (irgendwie), so richtig weiß aber keine_r, wie und wo man anfangen könnte.

Blogger als persönlicheres Feuilleton

Presse- bzw. Freikarten für Blogger_innen scheinen heute tatsächlich vielerorts noch Utopie zu sein. (Wir Kulturfritzen dachten tatsächlich, dass das Thema längst vom Tisch sei – offenbar ist es das nicht.) Jenen, die (und dies ist ja durchaus legitim) einen Blog als Rezensionsorgan begreifen, mag der Gedanke, dass Blogschreibende und Presseleute gleichberechtigt behandelt werden, vorrangig der wichtigste sein. Und in der Tat ist es auch wichtig, dass in Blogs Theateraufführungen besprochen werden, die Diskussionen im Bloggercafé bestätigen das: In größeren Städten, wo das umfangreiche Kulturprogramm von den Printmedien nicht vollständig abgebildet wird, sind Blogrezensionen mittlerweile existenziell – vor allem für die Theaterschaffenden der freien Szene, für Kinder- & Jugendtheaterproduktionen, für Figuren- & Objekttheaterinszenierungen, die im Feuilleton nur selten besprochen werden. Aber auch in kleineren Städten werden Blogkritiken immer bedeutsamer: weil nur noch eine Lokalzeitung existiert, und somit nur noch eine Meinung verbreitet wird. Hier sind Blogrezensionen eine wertvolle Ergänzung – nicht nur für den Pressespiegel der Theater, sondern auch für die Meinungsbildung des (potentiellen) Publikums.

Daraus ergibt sich ein anderer Aspekt, der im Bloggercafé immer wieder genannt wurde: Blogger_innen schreiben in der Regel „anders“. Auch die Rezeptionshaltung ist gewöhnlich eine andere: „Ohne abgehobenen Theaterkritiker-Habitus“ sei Bloggen „Kommunikation auf Augenhöhe“, daher näher am Publikum dran, die Meinung persönlicher bzw. „authentischer“, emotionaler, interaktiver und verständlicher.
Blogger_innen werden so zu Kulturvermittler_innen, indem sie – auch aufgrund ihrer Identifizierbarkeit – jene Berührungsängste abbauen können, die das oft elitär empfundene Feuilleton eher verstärkt.

Blogs bieten also unzählige Möglichkeiten der Kulturvermittlung, vor allem, weil sie frei in der Formatwahl sind. Dies ermöglicht vieles, was Kulturredaktionen vielfach nicht leisten können, beispielsweise Vorberichterstattungen, exklusive Interviews mit den Schauspieler_innen oder dem künstlerischen Team einer Produktion.

Ratlos in eine digitale Zukunft

Über diese feuilletonistischen Standards hinaus gibt es so viele Möglichkeiten, bloggend den Theaterbetrieb in all seinen Facetten abzubilden. Jede_r Blogger_in kann auf die eigenen Interessen zugeschnittene Formate entwickeln. Gerade durch den Blick von außen in das Theatersystem hinein, egal ob man fachlich versiert oder Laie ist, kann sich durch Blogger-Relations eine vertiefte Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur ergeben, die nicht nur dem Publikum zu Gute kommt (Interesse wecken, Hintergrundinformationen bieten), sondern auch den Theatern (Generieren von Publikum, Anbindung der Besucher_innen ans Haus). Diese Punkte wurden an allen Tischen des Bloggercafés immer wieder angesprochen. Doch wie kann dieses Zusammenspiel von Theater und Netz nun konkret aussehen? Einige Vorschläge hatten wir in unserer Ankündigung gemacht:

Museen veranstalten Bloggerreisen, Verlage haben Affiliate-Programme, es gibt Stadtschreiber und Burgenblogger. Lassen sich solche Konzepte nicht auch auf Theater – ganze Institutionen oder einzelne Projekte – übertragen?
Exklusive Hausblogger_innen, die in einem abgesteckten Zeitrahmen persönliche Einblicke aus den Theatern heraus anbieten; ein Bürgertheaterprojekt, das über Monate bloggend begleitet wird; Blogger_innen (auch außerhalb der Kulturszene) passgenauen Content anbieten, um sie für einen Blogpost zu gewinnen – könnten das erste Ansätze eines möglichen Zusammenarbeitens sein?

Einige sind noch hinzu gekommen:

  • Produktionen begleiten
  • spezielle Blogger-Events ausrichten
  • Blogger_innen auf Gastspielreisen mitnehmen
  • Blogger_innen als Dramaturg_innen einstellen
  • einmal den Theatertwitteraccount übernehmen
  • Falk Richter (oder auch andere Theaterleute) als Blogger_in begleiten

Mögen die Vorschläge gebündelt auch ganz passabel aussehen, so waren wir während der Gespräche im Laufe der Konferenz doch verblüfft über die Ratlosigkeit, die sich breit macht, wenn man über Ideen der Zusammenarbeit zwischen Blogger_innen und Theatern spricht. Vergleicht man den Output der Fragen, die wir an die Teilnehmer_innen von „Theater und Netz“ gestellt haben, so fällt vor allem auf, dass es nicht an Bewusstsein oder wechselseitigen Erwartungshaltungen mangelt, sondern an Utopien.

Finanzierung und Unabhängigkeit

Aus diesem Output unserer vier Fragestellungen ergaben sich zwangsläufig weitere Fragen, die in Teilen schon während des Workshops, aber auch dann im Open Space diskutiert wurden: Fragen nach der Finanzierung etwa, oder nach der Unabhängigkeit von (bezahlten) Blogger_innnen.
Jegliche intensivere Zusammenarbeit stellt die Unabhängigkeit der Blogger_innen in Frage, jenes Qualitätsmerkmal, was gerade Kulturblogs ja auszeichnet. Wie kann diese Unabhängigkeit bewahrt werden, vor allem dann, wenn das Theater dadurch finanzielle Aufwendungen hat (Honorar für Hausblogger_innen, Reisekosten, Influencer-Blogposts, Affiliate-Konzepte etc.)? Kann man dann noch ungefiltert berichten? Aber auch wenn kein Geld im Spiel ist: Wie viel Kritik vertragen Theater? Fehlt den Theatern die Offenheit für neue Formate, die in der Zusammenarbeit mit Blogger_innen entstehen könnten? Wie definiert man Qualitätsstandards gerade in Kombination mit Multiplikatoren-Effekten, Reichweite und der Akquise neue Zielgruppen?

Und nun?

Ihr seht: Es gibt einiges, über das nachgedacht werden muss. Vor uns liegt ein Berg an Ideen, Kommentaren und Anregungen, die wir in den nächsten Wochen aufarbeiten, ins Netz tragen und weiterdenken möchten.
Vor uns allen – Euch Blogger_innen, Euch Theaterleuten, Euch Kulturvermittelnden – liegt aber auch ein Auftrag: Mut zu machen und Mut zu finden, die Veränderungen, die das Sozial-Digitale auch für das Theater mit sich bringt, weiter zu denken und weiter zu entwickeln.

Im Laufe der nächsten Wochen werden wir Kulturfritzen uns in einer Reihe von Blogposts Gedanken machen zu einzelnen Aspekten, die im Bloggercafé angesprochen wurden.
Wir möchten aber vor allem auch Euch einladen, Eure Eindrücke festzuhalten: auf Euren eigenen Blogs, als Gastbeitrag hier auf unserem Blog, als Kommentar – oder auf Twitter unter dem Hashtag #theaterimnetz. Wir möchten nämlich diesen Hashtag wieder in Erinnerung rufen, der – genau wie unsere gleich lautende Blogparade – Anstoß war, uns Kulturfritzen zu der Konferenz „Theater und Netz“ einzuladen. Wir werden alle Beiträge bündeln und versuchen, einen sich daraus ableitenden Katalog der Möglichkeiten zu erstellen, der jederzeit ergänzt werden kann.

Wir freuen uns auf Eure Beiträge und Euer Feedback!

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7 Antworten zu “Wir brauchen mehr Utopien – Erste Eindrücke vom Bloggercafé (#tn16)

  1. Ich war ja nicht dabei und das ist gut so. Ich wäre weg gerannt, wenn ich die Packpapierwände gesehen hätte, das hatte ich beruflich 20000 mal zu oft, reden wir nicht vom Hauptprogramm, das wohl gar nix mit Theater und Netz zu tun hatte.
    Anyway..
    Daher nur ein paar Gedanken, die mir da fehlen, vielleicht helfen könnten….
    Setzt niedriger an. Für die Theater gedacht, gerade der Indepentend-Szene….
    Was ist ein Kultur_Blog? Warum nur Kultur-Blogger*Innen? Warum nicht einfach Blog? Ladet doch tatsächlich sehr reichweitige Blogs, aus der Gamerwelt oder den Techs oder sonst woher, ein einmal Theater zu besprechen. Nicht aus der Nische. Eure zahlenden Zuschauer stammen auch nicht (nur) aus der Nische. Warum kann ein Dipl-Ing nicht was zu Theater sagen? Oder einfach Blogs aus der Umgebung, irgendwelche. Ich kenne z.B. sehr theateraffine ModeVloggerinen..Nur so ein Beispiel.
    Nehmt ihnen die Angst etwas zu sagen, zu schreiben, über das die hohen Frouwen und Herren aus der Nachtkritik-Welt oder gar der Fazken die Näslein rümpfen. Sollen sie halt.
    Es macht Spaß Theater zu gucken, darüber zu kommunizieren, miteinander. Bloggerkneipen nach dem Theater mit Twittern dazu, oder von mir aus auch Snappen. Sagt nicht Rezension dazu. Das machen dann die Kritiker.
    Mir ginge es um Community. Und nicht um den Print-Feuilleton-Ersatz.. Blogger MÜSSEN keine Journalisten sein, sie können einfach schreiben..
    Und warum nur Blogs? Folgt mal dem Hashtag #twoper, was sich da zu etablieren beginnt.
    Wie gesagt nur so mein Senf. Einfach direkt an die Zuschauer ‚ran.

    Gefällt 2 Personen

    • Lieber Michael,
      vielen Dank für Deine Anmerkungen. Wir haben uns bewusst dafür entschieden, den Rahmen eng zu stecken, weil wir nur wenig Zeit hatten. Unter diesen Bedingungen ALLES zu diskutieren, was mit #theaterimnetz zu tun hat, wäre schlicht nicht möglich gewesen. Deswegen haben wir uns auf Blogs konzentriert. Mitgedacht wurde vieles, was Du ansprichst, aber trotzdem.
      Dass gerade auch Blogger_innen außerhalb der Kulturbloggerszene angesprochen werden sollten, haben wir bereits im Vorfeld deutlich gemacht: Man sollte „Blogger_innen (auch außerhalb der Kulturszene) passgenauen Content anbieten, um sie für einen Blogpost zu gewinnen“ (siehe Zitat im Blogpost, wenn Du die vier Fotos mit bunten Zetteln anklickst, siehst Du da auch einige Ideen). Dies schließt auch Vlogger, Instagrammer und Microblogger ein. Ich denke aber, dass es für sie – über den Theaterbesuch hinaus – spannend sein könnte, exklusive „fachspezifische“ Einblicke zu bekommen. (An einem Blogpost zu diesem Thema sitze ich bereits.)
      Dass Blogger_innen in der Formenwahl frei sind, und somit mehr Freiheiten haben als Journalist_innen, dass sie anders schreiben und eher auf Augenhöhe kommunizieren, und dabei verständlicher, persönlicher, „authentischer“ argumentieren, ist ein wichtiger Punkt am Sonntag gewesen, ich denke auch, dass wir dies im Text oben haben deutlich machen können.
      Fakt ist – deshalb gut, dass Du es nochmal schreibst – dass ALLE sozialen Netzwerke wichtige Elemente sein können, um über Theater zu berichten. Und Theater hat dort überall noch Aufholbedarf. Am meisten aber im Bezug auf einen fantasievollen Umgang mit der unglaublich vielfältigen Bloggerszene.
      Herzliche Grüße,
      Marc

      P.S. Ich fremdelte auch erst mit der Stellwand-Idee. Dieses analoge Ideensammeln funktionierte aber ganz wunderbar, weil es so „einfach“ daherkam, jeder die Möglichkeit hatte, etwas zu sortieren, umzuhängen, zu ergänzen. Und ich hab die Zettel jetzt zu Hause und kann mich da wunderbar weiter mit beschäftigen.

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