Angezettelt in der fremden Stadt

von Anne Aschenbrenner //

Ein Tweetup in einer fremden Stadt ist immer eine besondere Erfahrung – und mit dem Blick von außen, nämlich der Wiener Perspektive, durfte ich beim Tweetup des Deutschen Historischen Museums zur Ausstellung Angezettelt. Antisemitische und rassistische Aufkleber von 1880 bis heute dabei sein.

Abgeholt vom einem strahlenden Frühlingswetter und einem mindestens genauso strahlenden Kulturfritzen Marc fuhr ich direkt vom Flughafen ins Museum. Dass ich mich zu Beginn ein wenig überrumpelt fühlte, hat nicht nur mit einem abrupten Wechsel von Stadt und Alltag zu tun: Das Deutsche Historische Museum hat mit dem Tweetup  eine Veranstaltung vorgelegt, die alle Social-Media-Stückerl spielt. Als eine von Anderswo hatte ich zunächst Schwierigkeiten und Mühe, auf das laufende Pferd aufzuspringen: Ein Zettel mit dem Hashtag wurde kurz hochgehalten, und während ich noch mit der WLAN-Suche beschäftigt war, ging es auch schon mit der Einleitung los.

Es ist nicht das erste Tweetup des DHM, auch nicht das zweite, sondern das … vielte.

IMG_8148Man spürt: Es gibt bereits eine aufgebaute Community, die bei dieser Veranstaltung noch einmal bewusst erweitert wurde, Codes und Abläufe, die klar sind, jeder weiß schon, wie man ins WLAN kommt (man muss sich verbinden und dann eine Website aufrufen und etwas bestätigen – in den Wiener Museen klick ich meist nur „verbinden“). Damit solche Selbstverständlichkeiten entstehen, bedarf es viel Aufbauarbeit – in Wien sind wir davon noch weit entfernt.

Im DHM scheint man mittlerweile so routiniert, dass die Führung, die eigentlich die Kuratorin Isabel Enzenbach hätte halten sollen (die mit einem Patschen – äh Platten – am Fahrrad in Brandenburg gestrandet war und erst zum Ende des Tweetups eintraf), kurzerhand von Boris Nitzsche aus der Presseabteilung übernommen wurde. Für die Kuratorin, wie sie mir später verriet, wäre das Tweetup ein Debüt gewesen, und sie war verärgert, dass sie es versäumt hatte. „Ein neues Format, wo Menschen ins Smartphone starren? Das hätte mich interessiert“, sagte sie mir in der abschließenden Runde beim Italiener – die Getränke gingen aufs Haus – während das Wienerkind aus dem Staunen nicht herauskam: Eine Kuratorin, die sich für digitale Formate interessiert, anstatt sich Grabenkämpfe mit der Kommunikationsabteilung zu liefern! Ein durchorganisiertes Tweetup, das flexibel, gelassen und situationselastisch genug ist, um sich den Umständen anzupassen! Eine gesellige Abschlussrunde! – während in Wien noch „Tweetups auf Facebook, Instagram und Twitter“ (Pressetext eines Wiener Museums, das anonym bleiben sollte) abgewickelt werden wollen…

Auch inhaltlich hat man sich rund um Tweetup und Ausstellung viele Gedanken gemacht:

Aufkleber, die rassistisch, antisemitisch oder diskriminierend sind, werden bewusst von der Straße weg (mitunter samt Stromkasten und Laternenpfosten) in einen komplett anderen Rahmen gebracht. Gleichzeitig wurde darauf geachtet, den brisanten Objekten einen nicht zu musealen Touch zu verleihen. So im Museum betrachtet, ermöglichen die Aufkleber Diskurs und Reflexion, die auf der Straße nicht so leicht möglich sind. Beleuchtet werden auch Initiativen, die sich gegen Rechtsextremismus – nicht nur den aufgeklebten – engagieren: Zwei Aktivisten von Pogrom91 kommen in der Ausstellung zu Wort – beim Tweetup waren sie persönlich zu Gast und berichteten von ihren Erfahrungen in Hoyerswerda.

Die Reproduzierbarkeit von rassistischem Propagandamaterial in Hängung und Ausstellungsarchitektur, in Ausstellungskatalog und Pressebildern wurde übrigens bewusst erschwert, beispielsweise durch japanische Bindung im Katalog oder Kontextualisierung im Bildmaterial. Das Fotografierverbot (das für das Tweetup aufgehoben wurde) hat hier also noch einmal eine wesentlich weitere Bedeutung.

Aufkleber als Werbemittel sind auch in der digitalisierten Welt unerlässlich. Leicht zu teilen, mit knappen Botschaften und klarer Bildsprache – am Ende sind Aufkleber und Social-Media-Posts nicht so weit von einander entfernt, oder? Gedanken machen erwünscht.

//

Die Fotos hat Marc Lippuner gemacht. Sie entstanden während des Tweetups am 6. Mai 2016.

 

Werbung

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s