von Anne Aschenbrenner //
#filmretten ist das Crowdfunding-Projekt des Filmarchiv Austria, das wir Kulturfritzen unterstützen. Der nach einer Romanvorlage des jüdischen Schriftstellers und Journalisten Hugo Bettauer 1924 in Wien gedrehte Stummfilm Die Stadt ohne Juden gilt als eine der wichtigsten österreichischen Produktionen der Zwischenkriegsjahre. Mit Eurer Hilfe soll das Vergangene für die Zukunft bewahrt werden.
Die Stadt ohne Juden ist ein Film, den es gar nicht mehr geben dürfte. Gedreht 1924 war er schon nach seiner Premiere so manchen ein Dorn im Auge: Der spätere NS-Chefideologe Alfred Rosenberg sprach bei Die Stadt ohne Juden von „jüdischer Rassenpropaganda“, der Film „verhöhne die christliche Bevölkerung“, schrieb die Reichspost. Der Germanist Josef Nadler beklagte in diesen Tagen „die falsche Einwanderungspolitik Wiens“, sprach vom „volksfremden Kern“, von einer „Verjudung der Stadt“, für die Bettauer ein Beispiel sei. „Es war eine sinnvolle Handlung“, schrieb er, „als Hugo Bettauer 1925 wegen seines schmutzigen Handwerks wegen von einem jungen Mann erschossen wurde.“
Es ist ein Oktobertag des vorigen Jahres, als Ernst Kieninger, Direktor des Filmarchiv Austria, einen Anruf aus Paris erhält: Auf einem Flohmarkt seien Nitrofilmrollen gefunden worden, es handele sich um wertvolles Filmmaterial. Er, Kieninger, so erzählte er bei der Kick-Off-Veranstaltung zu #filmretten, habe seinen Augen nicht getraut, als er das Material schließlich in Händen hielt: Es handelte sich tatsächlich um die verloren geglaubten Teile des Stummfilms Die Stadt ohne Juden, in den 1920ern gedreht, unter den Nazis verboten, 1933 als Zeichen gegen die Ereignisse im nationalsozialistischen Deutschland in Amsterdam gezeigt und seit da nur mehr in Kritiken und Sekundärliteratur erwähnt. Der Film und seine Kopien galten als verschollen.
Hier kannst du das gesamte Kick Off Event nachsehen – neben Ernst Kieninger, dem Direktor des Filmarchiv Austria, sprachen auch Filmarchiv-Geschäftsführer Nikolaus Wostry sowie Frank Stern, Professor für Zeitgeschichte an der Universität Wien über Fund, Film und Bedeutung.
Die Stadt ohne Juden – mit Hans Moser in der Hauptrolle, basiert auf dem Bestseller-Roman von Hugo Bettauer. Film wie Buch zeichnen ein beängstigend prophetisches Bild von einem Wien (im Film „Utopia“) der 1920er Jahre: Die Juden werden ausgewiesen, eine „Stadt ohne Juden“ wird entworfen. Wie kein anderer zeigt der Film, das weiß man heute, Bilder vom jüdischen Wien – und wie kein anderer ist er sensibel für die Stimmungen der Zeit. Er offenbart – das zeigen die fehlenden Teile des Filmes nun noch viel mehr als zunächst angenommen – antisemitische und rassistische Tendenzen im Wien nach dem ersten Weltkrieg. Nicht zuletzt auch die berühmte expressionistische Szene mit Hans Moser als rabiaten Antisemiten ist erstmals komplett überliefert.
„Hinaus mit den Juden“, so erzählte Bettauer nach Erscheinen des Romans 1922, fand er an den Wänden eines „jener Orte geschrieben, an denen man sich nicht lange aufzuhalten pflegt“. Diese „kategorische Aufforderung eines sicher sonst ganz braven Mannes, den man ja auch in den Plakaten unter dem lieblichen Hakenkreuz findet und auf der Elektrischen oft genug hört“, regten sodann seine Phantasie an, was geschähe, würden die Juden einmal der „höfliche Aufforderung folgen und die Stadt verlassen“. Wie schnell aus diesem Sarkasmus der bitterste Ernst, der größte Massenmord der Geschichte werden würde, sollte Bettauer nicht mehr erleben – er wurde 1925, knapp ein Jahr nach der Filmpremiere, ermordet. „Arischer Zorn“ gab der Täter als Tatmotiv bei Gericht zu Protokoll.
Bis 1991 wusste man über die Verfilmung von Die Stadt ohne Juden nur aus sekundären Materialien. Im Nederlands Filmmuseum in Amsterdam fand man in diesem Jahr eine bereits verfallene und unvollständige Kopie des Films auf Nitrozellulosebasis. Dieser Torso erzählte in Umrissen von dem, was nun, nach dem Auftauchen der fehlenden Teile im vergangenen Oktober, Gewissheit ist: Der Film Die Stadt ohne Juden legt den Finger in historische Wunden. Er ist ein beredter Zeuge, der uns aus heutiger Perspektive umso schmerzhafter vor Augen führt, wohin Hass, Antisemitismus und Rassismus führen.
Die Stadt ohne Juden ist jedoch ein Zeugnis, das zerfällt: Nitrofilmmaterial ist hochempfindlich, instabil und von der Zersetzung akut bedroht.
Die Mittel des Filmarchivs reichen nicht aus, um das das Gefundene zu retten, 75.000 Euro kostet es allein, das Material zu sichern. Die Stadt ohne Juden war umstritten, verboten, verschollen. Nun ist er wieder aufgetaucht, und wir haben die Möglichkeit, ihn für die Zukunft zu bewahren. Ob das gelingt, ist Eure Entscheidung: Wollen wir #filmretten?
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Die Verwendung der Fotos erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Filmarchiv Austria.
Nachtrag – Hier findest du einen Auszug der bisherigen Berichterstattung:
ORF, Wien heute (noch bis 21. Nov.)
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