Es schillert im Wedding

Auf Schiller-Suche in Berlin. Unser Beitrag zum #schiller2go-Event des Nationaltheaters Mannheim.

Das Nationaltheater Mannheim veranstaltete anlässlich der Schillertage Mitte Juni ein Social-Media-Schiller-Mashup, das unter dem Hashtag #schiller2go ins WorldWideWeb hinausgetragen wurde, und lud uns ein, mitzumachen.

Vielleicht haben sie gedacht, wir kommen leibhaftig vorbei… dazu ist Mannheim dann aber doch einfach zu weit weg. Da wir beim #Lustwandeln der Münchner Kulturkonsorten aber bewiesen haben, dass Unterstützung auch aus der Ferne möglich ist, haben wir uns am Tag des Mannheimer #schiller2go-Tweetwalks auf den Roller gesetzt, und sind in der Mitte Berlins zu Orten gefahren, die schillern, obwohl Schiller dort vermutlich nie war.

Schon Tage vorher hatten wir uns kulinarisch auf Schiller eingestellt, gibt es doch in Berlin eine Burgerladenkette, die nach Schiller benannt ist, mit Glockenlogo und dramatisch-lyrischen Burgernamen.

Als wir unsere Route zusammen stellten, wussten wir, dass wir zum Schillerdenkmal am Gendarmenmarkt müssen, zum Schillertheater, der derzeitigen Ausweichspielstätte der Staatsoper, und zur Volksbühne, vor der das bebeinte Rad steht, das an Frank Castorfs Räuber-Inszenierung 1990 erinnert.

Wir suchten vergeblich nach Schillerlocken in Bäckereien und Fischfachgeschäften (allerdings haben wir auch recht schnell aufgegeben, welche zu finden), die Spielpläne der Berliner Theater forsteten wir gar nicht erst durch, aber in den Neuköllner Schillerkiez wollten wir eigentlich fahren, doch dazu blieb uns nicht die Zeit.

Denn wir hielten uns viel länger als geplant im Wedding auf, dem Berliner Bezirk, in dem es überraschenderweise gewaltiger schillert als irgendwo sonst in Berlin.
Zentrum der Weddinger Schillerei ist ein großer Volkspark, der zwischen 1909 und 1913 angelegt wurde, aber bereits 1905, anlässlich des 100. Todestages Friedrich Schillers, nach dem Dichter benannt wurde. Der erste in diesem Park gepflanzte Baum wurde eigens aus Marbach am Neckar, Schillers Geburtsort, beschafft und Schiller-Eiche getauft.

Sie steht ziemlich versteckt im Nordwesten des Gartenanlage, kaum einer verirrt sich hierher.
Das Zentrum des Parks ist die auf der östlichen Seite gelegene dreistufige Kalksteinterrasse mit Rosengarten, Kastanienhain und Schillerdenkmal. Das Denkmal ist eine Kopie der berühmten Skulpturengruppe, die, von Reinhard Begas in den 1860er Jahren geschaffen, heute am Gendarmenmarkt steht. Schwarze Bronze statt weißen Marmors. Nicht umzäunt, von Graffitis beschmiert, aber von einer Schönheit, die mehr berührt als das behütete, unbefleckte Orginal.

Die Geschichte der Bronzeskulptur emotionalisiert zusätzlich: Das Denkmal wurde 1941 aufgestellt, gegossen aus dem Material des eingeschmolzenen Rathenaubrunnens, der 1934 aus „weltanschaulichen“ Gründen aus dem nahegelegenen Volkspark Rehberge entfernt worden war.

Erstaunlich ruhig war es hier, ich hatte Schiller und seine lippenstiftbeschmierten allegorischen Damen ganz für mich allein. Hin und wieder joggten Leute durch den Park, zwei Betrunkene fabulierten auf einer Parkbank über Heteronormativität (ungelogen!), einige Menschen sonnten sich auf der riesigen Wiese, zwei Schülerinnen machten Hausaufgaben.

Nördlich der Barfusstraße, die den Schillerpark halbiert, ist das englische Viertel, in dem sich eine dem Park angeschlossene Wohnsiedlung befindet, die in den 1920er Jahren nach Plänen des Architekten Bruno Traut errichtet wurde. Die Siedlung Schillerpark gilt als erstes großstädtisches Wohnprojekt Berlins in der Weimarer Republik. Seit 2008 zählt die Siedlung zusammen mit fünf anderen Siedlungen der Berliner Moderne zum UNESCO-Welterbe.

Die Geschichte dieser sechs Siedlungen wird auf Informationstafeln im ehemaligen Toilettenhäuschen des Schillerparks erzählt. Um die vielleicht kleinste Ausstellung der Welt besichtigen zu können, fragt man in der SchillerOase nach, einem euphemistisch als Pizzeria bezeichneten Kiosk, der an die Rückseite der einstigen Bedürfnisanstalt gebaut ist.

Unweit der Siedlung Schillerpark befindet sich die Weiße Stadt, eine weitere der UNESCO-Siedlungen, errichtet um 1930 von Otto Rudolf Salvisberg und Martin Wagner. Zwar liegt sie schon im Bezirk Reinickendorf, da aber eine Straße dort Schillerring heißt, sind wir auch dort kurz hingerollert.

Zwischen beiden Siedlungen liegt der Schillerhof, eine zeitgleich mit der Siedlung Schillerpark entstandene Wohnanlage, deren Charme jedoch gänzlich unmodern ist, indem sie eher nostalgisch daherkommt.

Sehr viel moderner hingegen – jedoch jenseits jeglicher architektonischer Faszination – ist das SchillerParkCenter, eines jener gesichtslosen Shoppingmonumente, wie es sie in Berlin zuhauf gibt. Dieses hier, an der Müllerstraße gelegen, ist jedoch besonders unattraktiv, daran ändert leider auch der als Schiller Café titulierte Backwarenstand überhaupt nichts.

Damit die Nachlese dieses #schiller2go-Berlin-Ausflugs nicht allzu deprimierend endet, stellen wir ein Bild an den Schluss, dass wir an dem Tag unserer Tour als erstes aufgenommen haben. Auf dem Weg von Pankow zum Schillerpark fährt man die Seestraße entlang. Und wenn man, da wo alle Seitenstraßennamen nahöstlich werden, nach rechts schaut, sieht man Zitate auf den Seiten der Wohnungsbaugenossenschaftshäuser. Eines ist von Schiller, und es passt hervorragend zu den Entdeckungen, die wir an jenem Tag gemacht haben, weil das Nationaltheater Mannheim dazu aufrief. Danke dafür! Wir freuen uns schon auf den nächsten Guerilla-Tweetup-Support!

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Zur Information:
Sämtliche Fotos dieses Blogposts sind von Marc Lippuner am 10. Juni 2015 während der #schiller2go-Tour aufgenommen worden. Mit einem Klick auf die Fotos bekommt man eine vergrößerte Ansicht. Das könnte u.U. ganz hilfreich sein.
Es wäre schön, wenn die Fotos nicht ungefragt weiterverwendet werden.
Ein Großteil der Fotos ist während des Tweetwalks des Nationaltheaters Mannheim vom @kulturfritzen-Account vertwittert worden. Zu den Tweets gelangt man hier.
Die Auswahl der hier verwendeten Links ist nicht willkürlich, aus Mangel an geeigneten Online-Quellen könnte jedoch dieser Eindruck entstehen. 

8 Antworten zu “Es schillert im Wedding

  1. Das ist eine interessant Zusammenfassung eures #schiller2go. Während des Twetups in Mannheim bekam ich das gar nicht so mit. Man ist zu beschäftigt mit seinen eigenen Tweets. Wie ich überhaupt immer mehr zur Einsicht komme, dass diese Tweetups erst hinterher wirken…

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    • vielen dank für deinen kommentar. ich bin auch immer noch ganz glücklich mit den entdeckungen, die ich im wedding gemacht habe.

      was die tweetups an sich angeht: mir geht es genauso. ich hab auch das gefühl, in der nachlese rückt sich noch einmal vieles zurecht, vor allem, wenn man sie selbst sortiert in storifys oder kleinen berichten wie diesem hier. ich finde aber so toll, dass tweetups genau dieses denken möglich machen, weil eine gruppe von leuten sich unmittelbar äußert und so ein mosaik aus gedanken entsteht, das neue zugänge ermöglicht. ich wäre nie auf die idee gekommen, dass der admiralspalast und caveman so viel gemein haben, wie konfusiane nach unserem #caveman15-tweetup herausgefiltert hat: https://konfusiane.wordpress.com/2015/07/14/admiralspalast-und-caveman-eine-assoziative-zeitreise/ das ist doch toll! und deshalb freue ich mich schon jetzt aufs nächste tweetup, auch wenn ich mir aus der ferne dazu wieder etwas eigenes dazu überlege. hurra!

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  2. Ich hab noch nie so viel über Berlin gelernt, wie in diesem Beitrag. Ich finde es großartig, was man alles zutage fördern kann, wenn man mal einen bestimmten Fokus einstellt und sich von einem Stichwort leiten lässt. Das zeigt auch, wie besonders Berlin doch ist. Einfach riesengroß und man findet wahrscheinlich zu jedem Thema genügend Stoff in dieser Metropole.
    Wie gut, dass wir die Kulturfritzen als rasende Reporter vor Ort haben. Und ich liebe dieses Bild: auf dem Roller durch die Stadt jagend, immer den verborgenen Geschichten auf der Spur!
    Davon bitte immer mehr!
    Herzliche Grüße von der Kulturtussi

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