Die Möglichkeiten feiern

Ein Interview zu Berlin (a)live mit Armin Berger, dem Geschäftsführer von 3pc. Die Fragen stellten Anne Aschenbrenner und Marc Lippuner per Mail. //

Mit der coronabedingten Schließung sämtlicher Berliner Kultureinrichtungen stehen viele Künstler_innen und private Kultureinrichtungen vor dem Aus. Quasi über Nacht entsteht die Idee, ihnen eine digitale Bühne zu bieten, um den Kontakt mit dem Publikum nicht ganz zu verlieren: www.berlinalive.de bietet ihnen die Möglichkeit, unkompliziert ihre digitalen Angebote (Livestreams und on-demand) in einen Veranstaltungskalender einzutragen und so – trotz Kontaktverbot und Ausgangsbeschränkungen – sichtbar zu bleiben.
Wir befragten Arnim Berger, der als Geschäftsführer der Digitalagentur 3pc gemeinsam mit dem Berliner Senat das Projekt verantwortet, über Solidarität, Digitalisierung und eine Welt nach Corona.

Werfen wir einen Blick hinter die Kulissen: Wer hat das Projekt initiiert? Wie ist das Ganze in der Kürze der Zeit entstanden? Wie viele Personen sind involviert?

Ausgangspunkt war das Wochenende, an dem die kulturellen Einrichtungen Berlins geschlossen wurden. Unser erster Impuls: Wie sollen die Künstler_innen der Stadt nun weitermachen? Wie kommen sie weiterhin an ihr Publikum? Am Küchentisch ist dann die Idee entstanden: Eine zentrale Plattform muss her, die alles und alle zusammenbringt. Wir haben anschließend eine Konzeptskizze an Berlins Kultursenator Dr. Klaus Lederer persönlich geschickt, der sofort begeistert war und das Projekt ins Rollen brachte. Fünf Tage später war Berlin (a)live live – eine unglaubliche Teamleistung komplett aus dem Homeoffice heraus. Abgestimmt haben wir uns in Videokonferenzen und per Chat. Das hat erstaunlich gut funktioniert. Auch heute betreut das Berlin (a)live-Team aus 15 Kolleg_innen die Plattform komplett aus dem Homeoffice und entwickelt sie kontinuierlich weiter.

berlinalive-Redaktionsteam_3pc

Das Redaktionsteam von 3pc schickt Grüße aus dem Homeoffice

 

Welches Ziel verfolgt Ihr mit der Website?

Berlin (a)live ist ein Solidaritätsprojekt. Wir verstehen uns dabei als Vermittler, die Sichtbarkeit erzeugen und um Solidarität werben. Indem wir viele Events auch über die sozialen Medien kräftig bewerben, wollen wir die Aufmerksamkeit – und damit auch die potentielle finanzielle Unterstützung – weiter erhöhen. Über starke Multiplikatoren erhoffen wir uns noch mehr Reichweite. Berlin (a)live ist ein nicht-kommerzielles Projekt, das heißt, auch wir sind auf Unterstützung angewiesen. Je größer die Community, desto mehr können wir für die Künstler_innen erreichen. Also bitte gerne weitersagen….

Was soll mit Berlin(a)live abgefangen werden?

Neben dem Erhalt, der Erneuerung (!) und letztendlich auch der digitalen “Fortbildung” der Kulturszene wollen wir dazu beitragen, die existenzielle Not vieler Kulturschaffenden etwas abzumildern. Deshalb auch unser Motto: Stay tuned. Show solidarity.

Ist Kunst im Netz immer gute Kunst? Gibt es von Eurer Seite eine Art Qualitätssicherung? Ist es überhaupt möglich, sicherzustellen, dass Ihr bspw. nicht Livestreams mit verfassungsfeindlichen oder diskriminierenden Inhalten aufnehmt?

Aus der Not haben wir spontan an die idealistische Idee des frühen Internet angeknüpft. Es gibt keine Abnahmeprozesse. Wir praktizieren das Prinzip Eigenverantwortung auf Grundlage einer unausgesprochenen Netiquette. Deshalb sortiert Berlin (a)live auch nicht aus. Das heißt: hier werden wirklich alle Events in ihrer gesamten Bandbreite gezeigt – vom Ballettkurs aus dem Wohnzimmer bis hin zur Performance in Perfektion aus dem Deutschen Theater. Diese Diversität zu zeigen ist uns sehr wichtig. Natürlich muss alles im Rahmen des Grundgesetzes ablaufen. Wir vertrauen unseren Nutzer_innen, geben aber auch die Möglichkeit, zweifelhafte Inhalte zu melden.
Kunst und Kultur sind der Raum, in dem Experimente gemacht werden können. Ein Raum des Infragestellens, der Zumutung und Entwicklung. Wie lässt sich hier Qualität definieren? Es geht ja vielfach nicht darum, den Status quo zu bestätigen, sondern zu hinterfragen: Wollen wir wirklich so weiter machen wie vor der Krise?

Streams – vorproduziert oder live – sind die Verlängerung eines Angebots ins Digitale, sie entwickeln das Ganze jedoch nicht innovativ fort, sondern sind eher ein „Vergesst uns nicht!“ bzw. ein grundsätzlicher Ruf nach Aufmerksamkeit. Gab es darüber hinaus auch innovative Aktionen, die aufzeigen, was das Digitale für die Kunst in Zukunft bringen kann?

Da fällt mir zum Beispiel die Telegram-Aufführung von Twin Speaks ein. Inspiriert von David Lynchs Serien-Klassiker haben Künstler_innen gemeinsam mit Bewohner_innen einen Krimi entwickelt; die Ermittlungen können über den Messenger verfolgt werden.

Oder die Tanzperformance, in der jeder für sich tanzt, mittels Videokonferenz bilden die Tänzer_innen dennoch eine Einheit. Wäre da vor dem Shutdown schon jemand drauf gekommen? Die Krise scheint Kreativität noch einmal zu befördern, weil sie die Möglichkeiten begrenzt. Das setzt neue Energien frei. Berlin (a)live feiert die Möglichkeiten, die das Digitale uns allen gebracht hat. Wir müssen die Disruption der Technologie nutzen, um nicht nur eine technologische Antwort auf die Probleme der Welt zu geben, sondern die Technologie nutzen, um Antworten für die Menschheit zu geben. Das Digitale ist ein unglaublich mächtiges Instrument. Deshalb sollten wir auch aufhören, Angst davor zu haben und beginnen, lustvoll damit zu experimentieren.

Wie wichtig ist Vernetzung?

Wir sind soziale Wesen. Wir sind zwar in unsere vier Wände verbannt, aber durch das Digitale können wir den Kontakt zu anderen intensivieren, vielleicht sogar ein Stück weit neu erfinden. Vernetzung ist der Schlüssel zu allem und allen.

Sind Künstler_innen, die immer schon ihre Community im Netz gepflegt haben, jetzt im Vorteil?

Auf jeden Fall.

Wie können andere da einsteigen, mithalten?

Die Lösung für alle Neulinge: lernen, ausprobieren, experimentieren, scheitern, lernen, experimentieren, mutig sein, austauschen und dranbleiben.

Woran müssen Künstler_innen und die Kulturarbeiter_innen heute schon denken, wenn wir an die  Zeit nach Corona denken?

Das Digitale ist eine gigantische Chance und eine perfekte Erweiterung, auch wenn Veranstaltungen wieder normal möglich sind. Sie sollten also den digitalen Kanal nicht einfach wieder schließen und alles ins Analoge verlagern. Ich denke, viele haben jetzt ihre Erfahrungen gemacht oder sind vielleicht sogar überrascht, auf welchen Wegen und mit welchen Formaten sie ihr Publikum erreichen und vielleicht noch vergrößern können.

Wird die Krise Kultur im Netz grundsätzlich verändern? Oder zumindest das Mitdenken des Digitalen im Rahmen der Präsentation und Vermittlung?

Es ist ein gigantisches Fortbildungsprogramm. Wir sind überzeugt, dass viel Neues entsteht, das erhalten bleibt. Es geht nicht nur um Präsentation und Vermittlung. Es geht auch darum, dass die Technologien Bedürfnisse der Menschen ganz anders erfüllen können. Das Digitale sucht immer noch nach seinem eigenen Charakter, seinem Ausdruck, seiner Interaktion mit der Gesellschaft und dem Individuum. Wir stehen da noch ganz am Anfang.

Was passiert mit Berlin(a)live, wenn die Kulturorte wieder öffnen dürfen?

Dann werden wir hoffentlich noch lange die Plattform sein, die Kultur und Kunst im Zeitalter der digitalen Entdeckung begleiten und befördern wird. Wir wollen die Plattform zum Katalysator machen. Wir lieben Veränderung!

Vielen Dank für die ausführlichen Antworten!

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Weitere Informationen

Dr. Klaus Lederer im Interview mit Armin Berger und Dennis Hartmann von 3pc:

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Alle Fotos und Grafiken © 3pc

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