#selfiestencils: Fotografieren erlaubt, Posten erwünscht

von Marc Lippuner //

Kennengelernt habe ich René Scheer Anfang des Jahres auf Twitter. An drei Tagen Ende Januar – ich steckte mitten in den Proben zu Die Männerspielerin – erreichten mich fünf Tweets des Hamburgers, der an meiner inszenierungsbegleitenden Aktion #ichbinnin teilnahm.

Seither folge ich ihm nicht nur auf Twitter, sondern auch auf Instagram, auch, weil mir gefällt, wie er die Accounts bespielt: Er zeigt nicht nur seine fertigen Kunstwerke, sondern ermöglicht vor allem Einblicke in den Produktionsprozess, so dass ich die Arbeitsweise verstehen lerne und beim Entstehen einzelner Arbeiten zusehen kann.
Dies war auch im Vorfeld seiner Ausstellung #SelfieStencils der Fall, die vom 10. bis 13. September 2016 in der Bedürfnisanstalt Altona zu sehen ist. Scheer nutzt die sozialen Netzwerke, um neugierig zu machen, um zu zeigen, wie er arbeitet, um zu netzwerken. Er weiß, dass Social Media die besten Möglichkeiten bietet, damit unbekanntere Künstler sich ins Gespräch bringen können. Darüber hinaus ist es das Gespräch an sich, was er auf Twitter, Instagram und Co. sucht: „Ich will die Interaktion mit den Leuten“, erzählt er mir, als ich ihn heute Nachmittag in dem kleinen, 1928 von Gustav Oelsner entworfenen Backsteingebäude besuche, das einst eine unterirdische Bedürfnisanstalt mit oberirdischer Wartehalle war und nun ein unkommerzieller Kulturraum ist, der für einen Unkostenbeitrag gemietet werden kann.

Knapp 30 Stencils hängen und stehen hier; auf unterschiedlichsten Materialien – vom einfachen Papier über Wellpappe bis hin zu Fliesen und Betonsteinen – sind Portraits mittels Schablonen aufgetragen worden, Selfies, die Scheer auf Instagram gefunden hat, Selfies, die nun eigentlich keine Selfies mehr sind.

Neben jedem Kunstwerk finden sich als Werktitel die Instagram-Accounts der (Selbst-)Portraitierten, und man bekommt umgehend Lust, sich durch die Accounts zu klicken, um die Vorlagen zu suchen. Scheer macht jedoch wenig Hoffnung, dass diese gleich gefunden werden, gerade bei Menschen, die Instagram häufig bespielen: „Man sagt immer, das Internet vergisst nichts, das mag stimmen, aber: Man findet auch nichts einfach wieder!“
Für das #SelfieStencils-Projekt hat Scheer erstmals Material aus den sozialen Netzwerken konzeptuell genutzt – auf die Fotos, die er als Vorlage benutzt hat, ist er zumeist jedoch durch Zufall gestoßen. Wie bei der lächelnden Frau auf dem Leichtbetonstein. Der Stein war da, das Motiv wurde gesucht. Ein Bauarbeiterselfie hätte gepasst, wäre aber zu naheliegend gewesen, meint Scheer, denn ihm sei auch die Geschichte wichtig, die er über eine Arbeit erzählen kann. Fündig wurde Scheer mittels Hashtagsuche bei @helena_hr, die kurz vor dem Selfie ihre Maurer- und Steinmetzgesellinnen-Prüfung bestanden hatte. Feine kleine Anekdote, wie ich finde, und hinter den meisten anderen Stencils stecken ähnliche. Manche werden zuerst auf Instagram erzählt, manche beginnen im Kopf des Künstlers. Einige werden überhaupt erst entdeckt, weil der Malgrund es erfordert, andere wiederum geben den Malgrund vor. Die digitale und die analoge Ebene verschwimmen, doch gerade aufgrund dieser Wechselwirkung ist es folgerichtig, dass in der Ausstellung das Fotografieren erlaubt und das Posten erwünscht ist: Weil das aus dem Netz in die greifbare Wirklichkeit Geholte dadurch wieder ins Netz zurückgespielt werden kann.

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Zur Information:
Das Youtube-Video ist von dem Blogger-Duo MusErMeKu erstellt worden. Alle Fotos dieses Blogposts sind von Marc Lippuner am 11. September 2016 aufgenommen worden. Mit einem Klick auf die Fotos bekommt man eine vergrößerte Ansicht. Das könnte u.U. ganz hilfreich sein. Es wäre schön, wenn die Fotos nicht ungefragt weiterverwendet werden.

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