Ein Erlebnisbericht von Marc Lippuner //
Letzte Woche war ich auf meiner ersten Pressereise. Grenzverkehr: Cross over und künstlerischer Austausch war das Motto, und #Grenzverkehr wurde folgerichtig auch der Hashtag, mit dem wir die Reise in den sozialen Netzwerken begleiteten.
Die Hashtagwolke, die sich um die 450 #Grenzverkehr-Tweets der letzten Woche gebildet hat, beschreibt ganz gut, was der Grund dieser Reise war.

#Grenzverkehr – related Hashtags, 22. – 30 August 2016 (Quelle / Screenshot: keyhole.co)
Im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse hat der diesjährige Ehrengast – Flandern und die Niederlande – ausgewählte Pressevertreter_innen und einige Blogger_innen eingeladen, sich vor Ort einen Eindruck über die vielfältige Kunst- und Kulturszene zu verschaffen, stets mit Bezug zur niederländischsprachigen Literatur und zum dortigen Buchmarkt überhaupt.
16 Termine standen in den vier Tagen auf dem Programm – Gruppenteilungen, Einzelinterviews, Grachtentouren und Gesprächsrunden beim Mittag- und Abendessen nicht eingerechnet. Ihr könnt Euch vorstellen, was da an Notizen, Bildern und bislang nicht fassbaren Eindrücken zusammengekommen ist. Ich allein habe knapp 500 Fotos geschossen. Meine Notizen sind zum Glück überschaubar, da ich ja vieles an Infos direkt in Echtzeit vertwittert habe. Der Kulturfritzen-Account ist also mein öffentliches Notizbuch, auf das ich bei der Nachbereitung sicher zurückgreifen werde, hinzu kommt das Material, was wir in Form von Büchern, Broschüren und Handouts vor Ort bekommen haben bzw. was uns täglich in unseren Mailboxen erreicht. All das möchte gelesen, sortiert und erzählt werden. Und über all das möchte ich auch gerne erzählen. Die Frage allein ist: Wie? Und vor allem:
Womit fange ich an?
Ich weiß, dass ich mit meiner Frage nicht alleine stehe: Meine bloggenden Reisegefährt_innen, die nicht ausschließlich Buchrezensionen schreiben, sind ähnlich ratlos. Um die Fülle an Eindrücken und Informationen passgerecht zu bündeln, habe ich mir überlegt, die Frage, worüber ich berichten soll, einfach an Euch weiter zu geben. Ich werde die Reise nun schlaglichtartig beleuchten und Ihr habt im Anschluss die Möglichkeit, Euch Themen, Termine oder Aspekte herauszugreifen, über die Ihr mehr erfahren wollt. Hinterlasst einen Kommentar, was Euch interessiert (am besten hier und/oder bei der Verlinkung dieses Beitrags auf Facebook). Bis zur Buchmesse Mitte Oktober werde ich versuchen, alle Fragen in eigenen Blogposts oder artverwandten Formaten aufzugreifen, ihnen nachzugehen, sie – soweit möglich – natürlich zu beantworten.
Dieser Beitrag versteht sich daher lediglich als bebilderte Auflistung des Reiseablaufs. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
In einem weiteren Blogpost (der fortlaufend ergänzt wird) werde ich ab kommender Woche alle Beiträge versammeln, die die Teilnehmer_innen der #Grenzverkehr-Bloggerreise zum Thema publizieren. Dort werde ich die Mitreisenden und ihre Blogs auch kurz vorstellen.
Schlaglichter der Pressereise #Grenzverkehr: Cross over und künstlerischer Austausch
Montag, 22. August 2016
Am Montag erfolgte die individuelle Anreise nach Antwerpen. Über meine Ankunft am Amsterdamer Zentralbahnhof, den ich eigentlich gar nicht zu sehen bekommen hätte, habe ich bereits an anderer Stelle etwas geschrieben.
Nach einem kurzen Bummel durch Antwerpens Altstadt lernte ich meine Reisegruppe kennen, und wir zusammen lernten einige Mitarbeiter der Flämischen Stiftung für Literatur kennen. Wir saßen und aßen draußen, auf dem Graanmarkt, der sich zwischen der Bourla Schouwburg, einem 1834 fertiggestellten Theater, und der Stadsschouwburg befindet, dem örtlichen Musical-Theater in trostlosem 70er- oder 80er-Jahre-Betongewand. Beobachtet wurden wir von einer Bronzeskulptur Victor Driessens‘, der um 1850 die niederländische Sprache auf die Antwerpener Bühnen holte, die bis dahin nur das Französische kannten. Aber dies nur als Randnotiz eines Theatermenschen. (Ab jetzt wird’s stichpunktartiger.)
Dienstag, 23. August 2016
Unser Programm startete in der Flämischen Stiftung für Literatur, die sich im reizenden Jugenstilviertel Zurenborg befindet.
Hier erhielten wir eine Einführung in den Buchmarkt Flanderns, der in der Kreativindustrie der Region zahlenmäßig der bedeutsamste ist.
Im Anschluss bekamen wir einen informativen Überblick über die Geschichte der niederländischsprachigen Literatur, der nicht nur Prosa und Lyrik umfasste, sondern auch dramatische Texte, Kinder- & Jugendliteratur, Sachbücher und Graphic Novels / Comics berücksichtigte.
Daraufhin fuhren wir ins Studio des belgischen Videokünstlers David Claerbout, der im Rahmen der Buchmesse im Staedel-Museum eine Installation zu Disneys Dschungelbuch zeigt.
Am frühen Nachmittag teilte sich die Gruppe. Der eine Teil besuchte den Graphic Novellist Brecht VandenBroucke.
Der andere Teil – darunter ich – traf Maud Vanhauwaert, Mustafa Kör und Tom Struyf, drei Autor_innen, die im Rahmen des Projekts STUKschrijven zum ersten Mal Kurzdramen für ein junges Publikum schrieben. Das Staatstheater Mainz bereitet zur Zeit eine szenische Lesung der Stücke vor, das Buch wird in einer zweisprachigen Ausgabe im Oktober erscheinen.
Die Zeit in Antwerpen war nach den Terminen vorüber, und wir fuhren nach Gent, wo uns in der Königlichen Akademie der schönen Künste Carl Cneut, einer der bekanntesten Illustratoren Belgiens, Einblick in seine Arbeit gab.
Danach ging’s aufs Boot. Hurra!
Mit einem gemeinsamen Abendessen, zu dem VisitFlanders einlud, endete der Abend.
Mittwoch, 24. August
Der Mittwochvormittag ging mit getrennten Terminen los. Die eine Hälfte vertiefte ihre Einblicke in die Illustrationslandschaft Flanderns und besuchte das Atelier des Illustratoren und Graphic Novellisten Randall C, der seine Arbeitsmethoden ebenso vorstellte wie Ingrid Godon, Benjamin Leroy und Mattias De Leeuw.
Die andere Hälfte besuchte das LOD, ein Produktionshaus, das Opern und zeitgenössisches Musiktheater realisiert, jedoch nicht selbst zur Aufführung bringt. Die Inszenierungen werden national und international gezeigt. Wir hatten die Möglichkeit, kurz den Proben von Bosch Beach beizuwohnen, nachdem wir vom Dramaturgen Kristof van Baarle auf die Inszenierung eingestimmt wurden.
Anlass der Uraufführung ist der 500. Todestag von Hieronymus Bosch, das Libretto stammt aus der Feder des bekannten flämischen Autors Dimitri Verhulst. Am Wochenende vor der Buchmesse gastiert Bosch Beach in Frankfurt.
Am späten Vormittag trafen wir – wieder vereint – im Genter Nationaltheater, Peter Verhelst, der Bühnen- und Romanautor sowie Lyriker ist und auch mal Theaterdirektor war. Er berichtete, dass er von Francis Bacon inspiriert wurde und stellte sein aktuelles Buch Eine Handvoll Sekunden vor, das vor einigen Tagen im Secession-Verlag auf deutsch erschienen ist.
Auf Gent folgte Brüssel. Hier verbrachten wir nur den Nachmittag und zwar im BOZAR, einem prachtvollen Art-Déco-Kulturtempel.
Zuerst erhielten wir eine Führung durch die Ausstellung Facing the Future, die ab 22. Oktober im ZKM Karlsruhe zu sehen sein wird.
Dann erfolgte erneut eine Teilung der Gruppe. Während die einen den Autor Stefan Hertmans trafen, der mit Der Himmel meines Großvaters, einen Bestseller schrieb, kamen die anderen – darunter auch ich – mit dem jungen Autor Michael Bijnens zusammen, dessen Romandebüt Cinderella erst im kommenden Frühjahr auf deutsch erscheinen wird. Die Geschichte trägt starke autobiografische Bezüge und erzählt von einem Sohn, der zum Zuhälter seiner eigenen Mutter wird und ein Bordell eröffnet.
Nach diesen Terminen verließen wir Brüssel, das wir nur vom Bus aus kennenlernten, und fuhren nach Amsterdam, der letzten Station unserer Reise.
Bei einem Abendimbiss stellten Victor Schiferli von der Niederländischen Stiftung für Literatur und die Verlegerin Eva Cossee uns zwei literarische Anthologien über Amsterdam vor, die sie bei dtv bzw. Wagenbach herausgegeben haben.
Donnerstag, 25. August 2016
Den Donnerstagvormittag tauchten wir in virtuelle Realitäten ab. Uns wurden in einer exklusiven Preview zwei Literary Games vorgestellt sowie drei literarische VR-Projekte. Zur Buchmesse soll einiges noch verfeinert werden, ich hoffe, dass ich in Frankfurt noch einmal das Vergnügen haben werde, diese Brillen aufzusetzen.
Am Nachmittag wurden uns im Stadtarchiv in moderierter Runde drei Sachbuchautor_innen vorgestellt, deren aktuelle Bücher kürzlich auch auf deutsch erschienen sind.
Suzanna Jansens Paradies der Armen, Laura Starinks Meine Mutter aus Mikultschütz und Douwe Draaismas Halbe Wahrheiten beschäftigen sich mit den Themen Erinnerung und Familie. Draaisma, ein weithin anerkannter Professor der Psychologie, hat sich ausführlich damit auseinandergesetzt, wie Erinnerung funktioniert. Starink hat über die deutschen Wurzeln ihrer Familie geschrieben und Jansens Buch berichtet über die Geschichte ihrer Vorfahren in Armut.
Vom Stadtarchiv ging es in die Zentralbibliothek Amsterdams. Hier bekamen wir eine kleine Ausstellung mit Bildbänden zu sehen, die in ähnlicher Form auch auf der Frankfurter Buchmesse installiert sein wird.
Eine Lyriklesung rundete den Tag ab. Überhaupt ist Lyrik im Vergleich zu anderen Genres bislang nur wenig bis gar nicht vorgekommen.
Die Lesung bot so aber ein breites Spektrum an Lyrik, die in niederländischer Sprache vorgetragen wurde. Besonders interessant fand ich ein Gemeinschaftsprojekt verschiedener Dichter, die Verstorbenen ohne Angehörigen oder unbekannten Toten ein Poem schreiben, das sie auch auf deren Beerdigung vortragen.
Freitag, der 26. August 2016
Der letzte Tag der Reise begann in der Amsterdamer Hermitage, einer Art Außenstelle des St. Petersburger Mutterhauses. Hier wurden uns – erneut in moderierter Runde – die Fotografin Hellen van Meene, der weltbekannte Illustrator Joost Swantje, der Graphic Novellist Erik Kriek sowie der Romanautor, Poet und Illustrator Ted van Lieshout vorgestellt, die Einblicke in ihre Arbeit ermöglichten. Durch diese Vorträge wurde die Vielfalt der niederländischen Kunst- und Kunstbuchszene noch einmal herausgestrichen.
Unseren letzten Bildungstermin der Bloggerreise hatten wir in der bekannten, hübsch verwinkelten Athenäum-Buchhandlung. Und mit dem Gespräch über den Buchmarkt schloss sich wunderbar der Kreis zum ersten Termin am Dienstagvormittag.
Eine Grachtenfahrt beschloss die Reise.
Gegen 18 Uhr zog jeder seiner Wege, dank Social Media hat die Reise aber bislang kein Ende genommen. Immer noch tröpfeln hier und da Erinnerungen in Tweets und Facebook-Beiträgen herein, auch erste Blogposts sind schon geschrieben. So einiges steht aber noch aus: Bis zur Frankfurter Buchmesse wird uns der diesjährige Ehrengast wohl alle noch wunderbar beschäftigen. Vielleicht auch darüber hinaus. Denn es gab viel zu entdecken, und es gibt mindestens ebenso viel Interessantes zu lesen.
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Nachtrag: Einige Links (z.B. zu den Web- oder Social-Media-Seiten der Künstler_innen und Institutionen) fehlen noch. Ich werde sie in Kürze nachtragen.
Lieber Marc,
das ist ja ein ganz wunderbarer Überblick, der eigentlich in allen Aspekten vertieft gehört! Aber die Arbeit des LOD insgesamt und Bosch Beach würde mich speziell interessieren.
Vielen Dank soweit und viel Freude bei der weiteren Ausarbeitung!
Beste Grüße
Norman
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Lieber Norman, danke für Deine Antwort. Ich hatte ein bisschen gehofft, dass sich jemand dafür begeistert, das war für mich sicher eines der Highlights der Reise. Habe bereits Pressefotos und Pressemappe erhalten, und setze mich in den kommenden Tagen damit genauer auseinander. Viele Grüße, Marc
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Lieber Marc,
da hattet Ihr aber wirklich ein volles Programm. Ich freue mich jetzt schon auf deine detaillierteren Artikel dazu. Besonders interessieren würde mich der Videokünstler David Claerbout und die Dschungelbuchinstallation. Aber auch über Lesetipps aus Flandern würde ich mich freuen.
Liebe Grüße
Michelle
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Liebe Michelle, Dank für die Rückmeldung. Wird alles eingeplant! 🙂 Viele Grüße, Marc
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Lieber Marc,
mich würde Facing the Future dann sehr interessieren. Allein um zu erfahren, was ich alles verpasst habe und verpassen werde. 😀 Umso mehr freue ich mich auf Deine Beiträge!
LG, Wera
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Liebe Vera, über Facing the Future ein paar Worte zu verlieren, das sollte kein Problem sein. Eine interessante Gegenüberstellung war das, da mach ich gerne was zu.
Viele Grüße, Marc
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Jippi!!! 🙂
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