Theater & Digitalität – eine kurze Situationsbetrachtung

CyberRäuber zu Gast bei den Kulturfritzen

von Björn Lengers von CyberRäuber//

CyberRäuber – das Theater der virtuellen Realität

2016 haben Björn Lengers und Marcel Karnapke das Künstlerkollektiv CyberRäuber gegründet. Ihre Mission: Theater in die VR (Virtual Reality) und VR ins Theater zu bringen.

Mir hat mal jemand gesagt:

Ideen haben ist nicht das Problem, ich habe jeden Tag gute Ideen. Das Problem ist die Realisierung. Also sowohl: Wie soll das überhaupt gehen?, als auch: wer hilft mir das zu realisieren, wo mache ich, wie finanziere ich das?

Das hat mir eingeleuchtet.

Im schlimmen letzten Jahr der Corona-Pandemie war mindestens eine Sache gut: wir konnten digitale Ideen schnell realisieren. Wir CyberRäuber haben seit März 2020 sechs Projekte abgeschlossen, dazu sechs Gastspiele durchgeführt, viele Anträge gestellt, Konzepte erarbeitet, Vorträge gehalten, geschrieben. Bis Ende dieses Jahres kommen voraussichtlich nochmal mindestens fünf Projekte dazu.
Das ist ungeheuer anstrengend, und es ist auch nicht alles gut, was dabei herauskommt. Aber vor allem ist es ein ungeheures Privileg, diese Arbeit machen zu können, dafür bin ich dankbar.
Doch diese Phase wird enden.
Kopfschmerzen bereitet mir die nächste Phase: Wenn all die Bremser und Blockierer, die an der Spitze fast sämtlicher Institutionen (Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel) sitzen; die in Deutschland die Digitalisierung verbockt haben und die jetzt paralysiert den Spielraum in der Pandemiebekämpfung, den wir uns letztes Jahr teuer erkauft haben, leichtfertig oder aus schlichter Dummheit verpuffen lassen. Die in in den Theatern ihre MitarbeiterInnen für schwachsinnige Szenarien verheizen, damit irgendwann vor 100 Leuten gespielt werden kann, während sie gleichzeitig den Großteil ihres Publikums, das vor digitalen Endgeräten zu Hause auf sie wartet, das sich nach Kunst und Kultur sehnt, vernachlässigen und ignorieren. Wenn diese Bremser und Blockierer wieder fest im Sattel sitzen und Corona hoffentlich ein verblassender Albtraum ist und die gegenseitige Schulterklopferei losgeht: „Wir sind doch ganz gut durch diese völlig unvorhersehbare Krise gekommen“.


Dann wird es schwerer, dann hört das mit der Realisierung, mit fail faster, fail better ganz schnell wieder auf, dann gelten wieder Planungsverfahren über Jahre, Bauprobe bitte mindestens sechs Monate vor der Premiere, die ABLÄUFE!, Spielplangestaltung für übernächstes Jahr ist bereits abgeschlossen, etc.

Bleiben werden die Innovationen aus 2020/21, bleiben werden die Erfahrungen und die digitalen Fähigkeiten Einzelner. Ich befürchte allerdings, dass auch der mangelnde Respekt vor denjenigen, die heute versagen, bleibt und der Zweifel, ob diese Typen tatsächlich wissen, was Kunst kann, was Theaterleute wirklich vermögen, wenn man sie lässt.
Denn vor allem das hat die Krise mir deutlich gezeigt: digitale Möglichkeiten und Fähigkeiten wurden oft nicht gesehen, das Neue gilt wenig, und das Alte ist der Zufluchtsort für im Denken Alte.

Wir haben für 2022 ff. noch kein einziges Projekt. Das wird vermutlich nicht so bleiben, aber es ist auch erstaunlich, und deswegen schreibe ich das auch hier: weil es jedes Mal großes Erstaunen hervorruft, wenn ich es jemandem sage. Schließlich sind wir Experten mit jahrelanger Erfahrung, die in den vergangenen Monaten der Krise unser Wissen, unser Können unseren Innovationsgeist und unsere Liebe zum Theater im Netz unter Beweis stellen konnten. Aber die Branche bereitet sich darauf vor, in 2022/23 das Jahr 2020 nachzuholen, dann das Jahr 2021, dann das Jahr 2022 (in 2024). Sie will C vergessen, sie will die alte Zukunft zurück.

Aber was kann man realistisch gesehen – nicht utopisch! – tun? Was muss sich ändern? – Das werde ich oft gefragt. Und, ja, das ist eine gute Frage. Es gibt darauf auch gute Antworten:

Man könnte man sich nun endlich eingestehen, dass diese Spielzeit im Eimer ist und auch die nächste Spielzeit noch mit deutlichen Einschränkungen funktionieren wird müssen. Man könnte rein analog gedachte Produktionen absagen und die Energien aufs Ausprobieren und Weiterdenken lenken. Man könnte mit den vorhandenen Ressourcen Experimente machen, kleine Formate entwickeln – anstatt Energie in rein analog gedachte Produktionen zu stecken, die man in der Form ohnehin nur einem kleinen Publikum zeigen wird können. Man könnte die eigenen Leute einfach mal machen lassen: In jeder Dramaturgie, in jedem Ensemble, in jeder Audio- oder Videoabteilung, die ich kennen lernen durfte, gab es Leute, die coole, innovative Projekte entwickeln können. Man könnte noch im Juni mit überschaubarem Aufwand ein kleines Festival am eigenen Haus machen, wo man den „Corona-Output“ dem Publikum präsentieren kann. Digital und coronakonform.

Und man könnte, ganz generell, einmal drüber nachdenken, was wir aus der Corona-Krise lernen dürfen: Menschen wollen Kultur, Menschen sind größtenteils in der Lage, sich digital zu verbinden, virtuelle Kopräsenz funktioniert. Das geht nicht mehr weg, sondern eröffnet vor allem ganz viele neue Möglichkeiten, unser Publikum zu erreichen. Man könnte auch in den Leitungsebenen darüber nachdenken, was technologischer Fortschritt wirklich heißt und für das Theater bedeuten kann. Wer – wie ich – weiß, welche Technik vor 10 oder 5 Jahren zur Verfügung stand, kann mit überlegen, welche Technik in 5 oder 10 Jahren in der Breite zur Verfügung stehen könnte: Natürlich zwingt uns Technik zu krassen künstlerischen Kompromissen, man kann albern finden wie z.B. die low-poly-Umgebungen von Mozilla Hubs aussehen, wie wenige sich dort versammeln können, wie schlecht die Avatare aussehen. Man kann aber auch sagen: wow, das funktioniert sogar auf dem Handy, da habe ich einen instant Versammlungsraum für jede und jeden gestaltbar.

Man könnte, ganz konkret, digitale Innovation am Haus einfach mit einplanen. Zehn Prozent des künstlerischen Etats sollte in Institutionen in Forschung und Entwicklung fließen, in Projekte, die die Zukunft der Kunstform, der Institution, des Publikums in den Blick nehmen. Oder ist das doch … Utopie?

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Björn Lengers von CyberRäuber //

Björn Lengers, Jahrgang 1971, ist gelernter Betriebswirt, Datenanalyst und Entwickler. Gemeinsam mit Marcel Karnapke gründete er die CyberRäuber – Das Theater der virtuellen Realität‘ (vtheater.net). Die Mission: Theater und VR verknüpfen, in der Zusammenarbeit mit Künstlern Problemlösungen für die Herausforderungen von VR entwickeln.

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