von Anne Aschenbrenner und Marc Lippuner //
„Vom Publikum zur Community“ war das Thema der diesjährigen Ausgabe der „Theater&Netz“-Konferenz (#tn18) der Heinrich-Böll-Stiftung und nachtkritik.de.
Haben wir 2017, im Lutherjahr, 95 Thesen zu #theaterimnetz erstellt, fanden wir es nur folgerichtig, auf der diesjährigen Konferenz, die einen Tag nach dem 200. Geburtstag von Karl Marx stattfand, ein Manifest aufzusetzen. Das Ergebnis? Ein #DasCommunityManifest.
Wir haben 43 Aufforderungen formuliert, die wir aus den Ergebnissen unseres #tn18-Workshops destilliert haben und durch Zitate aus den #tn18-Vortägen der Kolleg_innen ergänzt haben. Die Reihenfolge unserer Auflistung stellt keine Wertigkeit und keine logische Abfolge dar, einige Punkte überschneiden sich, – ohne jedoch deckungsgleich zu sein. Manche Aufforderungen sind durch konkrete Vorschläge ergänzt, durch nötige oder unnötige Erläuterungen, manche stehen für sich. Und das ganz gut!
Wir möchten mit dem Manifest einen Katalog für gezieltes Audience Engagement im Theaterbereich vorlegen, das, unserer Meinung nach, für die analoge und digitale Kommunikation mit dem Publikum maßgeblich ist.
Bevor uns jemand Banalität vorwirft: Entfalten manche Forderungen erst beim zweiten Lesen ihre Tiefe („Trefft Euer Publikum!“), kommt anderes tatsächlich banal daher („Redet miteinander!“), ohne es wirklich zu sein: Audience Engagement ist keine komplizierte Technik, es ist eine Haltung, die aus dem Publikum den einzelnen Menschen herausnimmt und als solchen anspricht.
Wir freuen uns über Ergänzungen, sachdienliche Hinweise und weiterführende Links. Bei Fragen wenden Sie sich vertrauensvoll an Ihr Publikum. 😉
#DasCommunityManifest
#1
Ein Gespenst geht um in Europa. Das Gespenst des Communismus!
Spätestens die willkürliche Änderung des Facebook-Algorithmus‘ Anfang des Jahres, allerspätestens aber das EuGh-Urteil, das Facebook-Seiten-Betreiber_innen für (potentielle) Datenverstöße Facebooks mitverantwortlich macht, hat gezeigt, dass die beste Reichweite im Social Web nichts nützt. Wir glauben: es braucht einen neuen Communismus, der das analoge und das digitale Publikum verknüpft betrachtet.
#2
Nehmt euch gegenseitig wahr!
Wieviele Theater in Deiner Nähe kannst du nennen? Wieviele Theaterblogs kennst Du?
#3
Lernt scheitern! Und macht weiter!
Für das Digitale am Theater gibt es kein ausgereiftes Konzept-Rezept. Es verlangt mehr Zeit im Produktionsprozess, mehr Budget und vor allem Möglichkeit fürs Experimentieren. Und was für alle künstlerische Prozesse gilt muss auch hier gelten dürfen: scheitern ist notwendig und das weiterlernen danach.
#4
Seid in das Gelingen verliebt!
sagte Kay Voges bei #tn18 und trat damit auf Twitter eine Diskussion los.
#5
Mehr Links!
😉
#6
Theater ist das Opium des Volkes!
Das Volk weiß es aber vielleicht noch nicht.
#7
Erzählt Geschichten!
Auch im Netz, versteht ihr? Auch im Netz!
#8
Fragt die Community nach ihren Skills!
Was spricht dagegen, wenn Ihr zu einem Stück-Thema recherchiert, das Publikum zu fragen, ob hier Expert_innenwissen vorhanden ist? Was spricht dagegen, dass mal ein_e Jungprogrammierer_in Euch unter die Arme greift?
#9
Seid laut!
Ihr müsst nicht. Aber vielleicht wollt ihr gehört werden? Auch in diesem Internetz?
#10
Entwickelt Visionen!
Und gebt Euren Mitarbeiter_innen Zeit, sie zu entwickeln. Auch den Büromenschen im Theaterbetrieb. Gebt ihnen eine Kreativ-Woche Zeit zum Nachdenken. Veranstaltet Think-Tanks. Erfindet den kreativen Monats-Ersten an dem eMails-Checken und Telefonieren verboten ist, aber Zukunftsmalerei erlaubt!
#11
Mach’s mit, mach’s nach, mach’s besser!
Einfach mal schauen, was die anderen machen, die Kolleg_innen vom Theater nebenan in die eigene Kantine auf Kaffee und Kuchen einladen, fragen was so läuft. Gemeinsam aus Fehlern lernen. Und wenn Theater A die Frau für leiwande Trailer hat, aber Theater B den Programmierer – vielleicht ergibt sich sogar eine Synergie?
#12
Release the Internet, practice the internet, sample the internet.
Das Netz ist, was wir draus machen.
#13
Wacht auf!
Radikale Weltverschwörer_innen, Populist_innen, Konzerne oder Kulturbetriebe – von den Mechanismen und der Kraft sozialer Netzwerke und ihrer Algorithmen kann jede_r profitieren. Theater. Macht. Was.
#14
Überlasst das Netz nicht den Populisten!
Das Netz ist das was wir draus machen. Man kann es nicht oft genug sagen. Und ja, es gibt auch eine Verantwortung der User_innen.
#15
Das Theater um die Kritik kann die Theaterkritik nicht ersetzen.
Mit Gläsern werfen ist keine Kritik. Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass man Theaterkritiker_innen künftig mal wieder die Spiralblöcke aus den Händen reißen sollte.
#16
Organisiert (virtuelle) Stammtische!
Durchs Reden kommen die Leute zusammen.
#17
Please don’t stop the music!
Don’t stop the music
The world will keep turning if you use it, get out there and
Don’t stop the music
People keep on dancing
You can do it
(Robyn, nicht Rihanna)
#18
Geht regelmäßig ins Theater!
Wann warst DU denn zuletzt im Theater?
#19
Schickt Blogger_innen Proben!
Frei nach Paul Watzlawick: Man kann Blogger_innen nicht nicht einbinden. Auch wenn Ihr sie ignoriert, betreibt Ihr Audience Engagement. Allerdings eines, das Euch eher schadet.
#20
Gebt den Publikumspreis dem Publikum!
Es ist ja nett, dass das Publikum bei den Nestroys und Gustafs mitbestimmen darf, damit Eure Schauspieler_innen ein wenig mehr glänzen und Ihr tolle Auszeichnungen auf Eurer Website verlinken könnt. Aber warum zeichnet Ihr nicht mal Euer Publikum selbst aus? Dafür, dass es da ist, dass es wiederkommt, dass es Freunde mitbringt? Jeder C-Rockstar weiß, was er auf der Bühne sagen muss, damit ihm das Publikum gewogen bleibt: Ihr seid ein tolles Publikum!
#21
Support your local theatre!
#22
Unterhaltet euch!
#23
Redet miteinander!
Definiere den Unterschied zu #22.
#24
Arbeit ist die Wurzel aus Energie geteilt durch Zeit.
#25
Formuliert echte Kritik!
„Das Stück find ich blöd“, ist keine Kritik.
#26
Denkt Social Media als Kunstform!
Es soll ein Theater geben, wo „Künstlerische Leitung Social Media“ an der Bürotür steht. Behandelt die Person als solche und verändert Eure Social-Media-Taktik.
#27
Publika aller Länder vereinigt Euch!
Tauscht Euch aus, nicht nur, indem ihr von den Wiener Festwochen zum Theatertreffen nach Berlin fliegt und dann zu den Salzburger Festspielen hoppelt. Gründet Facebook-Gruppen, plaudert über die Stücke und informiert Eure Theater darüber.
#28
Nutzt das Bedürfnis nach Partizipation für Eure Message!
Menschen möchten teilhaben. Sie sammeln Punkte beim nächsten Supermarkt. Sie kommentieren unter Märchenpark-Postings, um freien Eintritt zu bekommen. Gebt Ihnen eine Aufgabe.
#29
Geht respektvoll miteinander um!
Lieblos ist nicht respektvoll. Ignorieren auch nicht. Theater, beantwortet die Kommentare eurer User_innen, regiert auf Mentions. Und Zuschauer_innen: Überlegt, was Ihr postet.
#30
Vergebt Bloggerpreise!
Hallo nachtkritik.de, hallo Böll-Stiftung, wie lange macht ihr nun schon „Theater&Netz“-Konferenzen? Und ihr habt noch nie einen Blogger-Preis vergeben? Und ihr Feuilletons?! Sucht Kooperationen, macht Euch fabelhaften Content zunutze und verbindet Eure Zielgruppen. Und Ihr Leser_innen, tut Euch zusammen, tragt Eure Lieblings-Blogs ins Netz.
#31
Educate yourself!
Im Theater. Im Netz. Immer und überall.
#32
Nutzt das kreative Potenzial eures Publikums!
Lasst es teilhaben, den Spielplan mitgestalten oder mal ein Kostüm entwerfen. Und begründet, wenn Ihr Euch dagegen entscheidet.
#33
Engage Me If You Can!
Google hält 19 Übersetzungen für engage bereit. Sucht Euch ein paar aus.
#34
Mehr Emotion als Spielplan!
Die drei häufigsten Postings der Theater im Netz:
– „Wir proben gerade zu …“
– „Heute ist Premiere von …, kommt!“
– „Letzte Vorstellung von … Restkarten unter“.
Sorry, wenn wir gelangweilt weiter scrollen. Denn auch Karten kann man mit Emotionen verkaufen. Oder mit Humor. Es müssen ja nicht immer Videos wie jenes „Knutschen am Theater“-Filmchen sein:
Aber vielleicht bietet es ein paar Anregungen. 🙂
#35
Personalisiert den Theaterbereich!
Theater wird von Menschen gemacht. Wenn man sich das bewusst macht, dürfte das Kopfkino doch schon losgehen
#36
Entwickelt mehr partizipative Formate!
Nein, Ihr sollt nicht Euren Spielplan über Bord werden oder das Profil des Theaters verändern. Aber schaut, wo Ihr die Zuschauer_innen mit einbinden könnt, jenseits von Jugend- oder Seniorenclub, Bürgertheater und Statisterie.
#37
Prob(ier)en, prob(ier)en und nochmals prob(ier)en!
Eine Runde Mut für alle!
#38
Trefft das Publikum!
Wir meinen beiderlei Wortsinn. Und wir finden beiderlei Wortsinn wichtig.
#39
Fiebert miteinander!
„Es gibt noch Restkarten“ ist kein Mitfiebern. Aber wie wärs mit: „Morgen sitzt die Geldgeberin im Theater, wir wollen ein volles Haus bieten. Ob wir das schaffen? Noch 27 Karten.“
#40
Theater wird zur materiellen Gewalt, sobald es die Massen erreicht.
Es geht nicht um Formen, es geht nicht um Formate und es geht auch nicht um Reichweite. Es geht um eine Haltung: die Audience, das Publikum ernst zu nehmen, einzubinden. Wir glauben, nur so kann Theater relevant bleiben.
#41
Lest mehr Theaterblogs!
… und gebt den Blogger_innen Bescheid, dass Ihr ihre Blogs lest. Hinterlasst einen kurzen Kommentar, teilt die Blogposts in Eurem Social Network. Als Theater, als Publikum.
#42
Einfach mach die Presse halten!
Es ist erstaunlich, aber auch 2018 haben Blogger_innen offenbar noch immer nicht Zugang zum Pressebereich von Theatern. Ändert das. Jetzt. Endlich.
#43
Die Theater haben nichts zu verlieren als ihren Elfenbeinturm!
Wie viel Macht sind die Theater aber tatsächlich bereit, an ihre Community abzugeben?
//
Liebe Anne, lieber Marc,
ihr seid einfach klasse. Das Manifest ist klasse. Da steckt so viel drin, so viel Wahres und ganz viel Anregung. Motivation sowieso. Eigentlich eine perfekte Anleitung für die Theater und auch die Kulturinstitutionen. Man braucht es nur mit den Bedingungen vor Ort abgleichen und kann eigentlich schon mit der Umsetzung anfangen.
Aber, wie ihr richtig schreibt: „Audience Engagement ist keine komplizierte Technik, es ist eine Haltung, die aus dem Publikum den einzelnen Menschen herausnimmt und als solchen anspricht.“
Ich wünsche mir so sehr, dass der Knoten platzt und man nicht immer wieder auf Anfang gehen muss. Sondern, dass das Spiel endlich beginnen kann. Und wir mehr und mehr gute Umsetzungen sehen dürfen.
Herzlichst,
Anke
LikeLike