Der Skulpturensammler

von Marc Lippuner //

Bereits Ende Mai war ich im Rahmen eines #TweetupTuesday im Georg-Kolbe-Museum, um die Alfred-Flechtheim-Ausstellung anzusehen.

Von unserem Twitter-Account berichtete ich während der Führung, ein Blogpost sollte alsbald folgen. Nun haben wir Anfang September, die Ausstellung ist nur noch zwei Wochen zu sehen, und der Blogbeitrag schmorte – wie so viele andere – halbgar in den Entwürfen. Das ist in diesem Fall besonders schade, denn die Ausstellung über den jüdischen Kunsthändler, der neben Paul Cassirer den Berliner Kunstbetrieb der 1920er Jahre maßgeblich mitbestimmte, ist ungemein sehens-, das dazu erschienene Buch ausgesprochen lesenswert.

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Alfred Flechtheim, 1978 in Münster als Sohn eines Getreidegroßhändlers geboren, trat bereits kurz nach der Jahrhundertwende als Liebhaber zeitgenössischer Kunst in Erscheinung. Er besaß Werke von van Gogh und Cézanne (als sie noch verhältnismäßig preiswert zu haben waren), erwarb Frühwerke von Picasso und Braque und war den Mitgliedern des Blauen Reiters und der Brücke eng verbunden. 1913 eröffnete er seine erste Galerie in Düsseldorf, acht Jahre später übersiedelte er nach Berlin. Seine Galerie am Lützowufer wurde zum Hotspot der Kunstszene in den goldenen Jahren der Weimarer Republik, die von ihm vertretenen Künstler_innen gehören heute zu den bedeutendsten Vertretern der Moderne. Das Aufkommen des Nationalsozialismus‘ besiegelte Flechtheims wirtschaftlichen Niedergang. 1933 flüchtete er, der prominenteste Verfechter einer zwischenzeitlich als „entartet“ deklarierten Kunst, über die Schweiz und Paris nach London, wo er 1937 starb.

Die Ausstellung im Georg-Kolbe-Museum konzentriert sich auf Flechtheims Bedeutung als Förderer der modernen Plastik. Er vertrat Bildhauer wie Wilhelm Lehmbruck, Ernst Barlach oder Rudolf Belling und förderte Renée Sintenis maßgeblich. Der junge Arno Breker, der später zum NS-Staatskünstler aufstieg, gehörte ebenso in Flechtheims Kartei wie der in Auschwitz umgekommene Moissey Kogan, der flämische Künstler George Minne, von dem Egon Schiele maßgeblich beeinflusst wurde, oder der Franzose Aristide Maillol. All jene Künstler_innen finden sich in der Ausstellung in Kolbes Atelier- und Wohnhaus – Georg Kolbe selbst natürlich auch, denn auch er war Flechtheim-Künstler.

Von einigen Tierskulpturen Renée Sintenis‘ abgesehen (sie schuf später den Berlinale-Bären, ihr grasendes Fohlen empfängt die Besucher_innen im Eingangsbereich der Ausstellung) steht der menschliche Körper im Fokus der künstlerischen Auseinandersetzung – wobei die Bandbreite vom Figürlichen bis ins Abstrakte reicht. Zwei Räume im Kellergeschoss des Museums widmen sich dem Sport in der modernen Plastik.

Mein Lieblingsobjekt in der Ausstellung ist das Selbstbildnis der schönen Renée Sintenis.

Bemerkenswert ist auch die Marlene-Dietrich-Büste des als Frauenschwarms und Lebemann geltenden Ernesto de Fiori: Illustriertentaugliche Kunst mit Starqualität. Auch Flechtheim sah sich gern in der illustrierten Regenbogenpresse – Kunst und Lifestyle gehören offenbar seit ehedem zusammen.

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FlechtheimBuch1Zur Ausstellung Alfred Flechtheim. Kunsthändler der Moderne ist ein Buch erschienen, in dem ich seit dem Museumsbesuch immer mal wieder gelesen habe. Es ist eher Nachschlagewerk denn Ausstellungskatalog – kein gebundenes großformatiges Coffee-Table-Book, sondern französische Broschur ohne seitenfüllende Abbildungen. Im Fokus stehen wissenschaftlich Texte, die allesamt von einem umfangreichen Quellenstudium zeugen. Herausgegeben wurde das 500 Seiten umfassende Buch vom Flechtheim-Biografen Ottfried Dascher, der renommierte Kunsthistoriker_innen, Provinienzforscher_innen und Museumsdirektor_innen für Beiträge gewinnen konnte.
Die Essays widmen sich, zumeist in Einzelportraits, jedem Künstler, dessen Werke in der Ausstellung vertreten sind. Schlägt man das Buch übrigens genau in der Mitte auf, findet man den Text zu Renée Sintenis, der einzigen Künstlerin im Flechtheim-Kontext. Erfreulicherweise beschränken sich sämtliche Texte nicht nur auf die Beziehungen der Portraitierten zu ihrem Kunsthändler und/oder Mäzen Alfred Flechtheim, sondern streifen die gesamte Biografie, so dass eine kunsthistorische Einordnung der Persönlichkeiten möglich wird.

Die Publikation möchte darüber hinaus eine Lücke schließen – im Klappentext steht: „Die Entwicklung der Bildhauerei in der Moderne ist bis heute ein vernachlässigter Bereich der Kunstgeschichte.“ Dieses Buch scheint mir weit über die Ausstellung hinaus ein geeignetes Medium zu sein, sich dem Kunstbetrieb der 1920er Jahre anzunähern und die zentralen Figuren der modernen Plastik kennenzulernen.

Ottfried Dascher (Hrsg.): Sprung in den Raum. Figuren bei Alfred Flechtheim.
Wädenswil: Nimbus 2017
Anzahl der Seiten: 506
ISBN: 978-3-0385-0023-0
Preis: 29,80 €

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Eine Antwort zu “Der Skulpturensammler

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