Der Tänzerin und Choreografin Pina Bausch (1940–2009) widmet die Bundeskunsthalle Bonn im Berliner Martin Gropius Bau eine Ausstellung, die das Schaffen der Künstlerin erlebbar und erfahrbar machen soll – analog vor Ort, aber auch digital im Netz.
Stefanie Leinert hat sich die Sonderschau angesehen, und wir freuen uns, dass sie ihre Eindrücke im Rahmen eines Gastbeitrages auf unserem Blog teilt. //
Ich war tanzen, in der Ausstellung „Pina Bausch und das Tanztheater“. Wir haben eine kleine Choreografie gelernt, für mich hatte sie zum Thema das Flirten. Die Bewegungen waren kleine Gesten der Unsicherheit, der Verlegenheit, aber auch der Selbstversicherung und des Blickes nach jemandem, der einem gefällt und dem man gefallen möchte. Zur Musik eines aus den 20er Jahren anmutenden Schlagers, der etwas über blaue Augen eines Frolleins sang, in einem Kreis schreitend, tanzte ich zusammen mit anderen Laien in Pina Bauschs Lichtburg, einer Nachbildung im Martin-Gropius-Bau, und lächelte.
Vor rund 22 Jahren hatte ich enttäuscht meine Ausbildung in Neuem Tanz geschmissen, abgebrochen, weil ich alles als sinnlos empfand, mir jegliche politische Dimension fehlte und ich mich in eine Klasse, die sich in meinen Augen nur auf dem Selbsterfahrungstrip befand, nicht integrieren konnte. Ich war inspirations- und mutlos, hatte den wiederkehrenden Gedanken: Ich werde davon nicht leben können. In letzter Zeit denke ich manchmal wieder über diesen Gedanken nach. Das, was mir vor 22 Jahren als brotlose Kunst erschien, ist heute zu einer etablierten Form des Tanzes geworden. Es gibt eine schier unüberschaubare freie Szene, die mehr schlecht als recht gefördert wird, deren langjährige Akteure aber eine Struktur aufgebaut haben, in der es sich arbeiten und irgendwie auch leben lässt. Noch immer habe ich Angst vor Tanzaufführungen, die selbstreferentiell nach Bewegungsformen suchen und nur sich selbst genügen. Ich möchte nicht sehen, wie jemand verschiedene Wege probiert, auf anmutige oder sonst irgendeine Weise von A nach B zu kommen, und das war’s dann.
Doch was ist nach dem Flirt mit Pina anders? Ich habe in der Ausstellung vieles über ihre Arbeitsweise erfahren. Dass sie Bewegungsmaterial aus kleinen Aufgaben und Fragen entwickelt und der große, übergeordnete Zusammenhang sich in der Arbeit mit diesem Material herauskristallisiert. Dass sie die Musik zumeist unabhängig als zusätzliche Ebene auswählt und damit die Choreografien um eine Bedeutungsdimension erweitert. Ebenso werden die Ausstattungselemente (beispielsweise Nelken, Steine, Erde, Wasser) erst zu dem Zeitpunkt hinzugefügt, wenn die Choreografien stehen, wodurch sich wieder eine neue Ebene ergibt und selbst von Aufführung zu Aufführung immer wieder neue Situationen entstehen, zu denen sich die Tänzer verhalten müssen. Denn die Materialien sind nicht bis aufs Letzte kontrollierbar, sondern erscheinen immer wieder in anderen Konstellationen.

Aufführung des Pina Bausch-Stücks „Vollmond” Wuppertal, Mai 2006 (Fotografie © Laurent Philippe)
Die Choreografien von Pina Bausch sind dokumentiert und wiederholbar. Sie selbst hat nach einer Premiere alle weiteren Aufführungen besucht, weil jede wieder anders ist, wie sie sagt. In der Ausstellung wird dies in einem der Filmräume sichtbar, wenn in einer Reihe dieselbe Choreografie in 6 verschiedenen Aufführungen aus unterschiedlichen Jahren gezeigt wird.

Ausstellungsansicht (© Simon Vogel 2016 / Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH)
Die Bewegungen sind dieselben, die Tänzer bleiben aber als Individuen präsent. Sie sollen nichts spielen müssen, ist eine Aussage Pina Bauschs, die mich berührt. In ihren Choreografien macht sich der Tänzer das Material wieder zu eigen, es geht nicht um die Erfüllung einer idealen Form, sondern um das Ausfüllen. Es mag pathetisch klingen, aber für mich ist das genau der Augenblick, wo Kunst entsteht – wenn Meisterschaft und technische Perfektion zurücktreten hinter etwas, das durch den Künstler, und nur durch diesen im Augenblick der Aufführung, der Form hinzugeführt wird. Das ist riskant, denn es kann vielleicht nicht immer gelingen, ist aber hinsichtlich der körperpolitischen Dimension des Tänzers in der Choreografie ein Moment der Ermächtigung. Pina Bauschs Themen in ihren Stücken sind diejenigen, die die Menschen bewegen: Liebe, Leben, Tod. Als 22-Jährige erschien mir das zu einfach. 22 Jahre später ahne ich, dass die politische Dimension im Tanz vielleicht gerade darin liegt, aus dem durch die individuellen Tänzerkörper entwickelten Material diese universellen Themen zu erzählen; Bilder dafür zu finden, in denen jede noch so kleine Bewegung in eine Kette von tanzenden Zeichen eintritt, in der nichts unwichtig oder bedeutungslos ist.
Einen Besuch der Ausstellung im Martin-Gropius-Bau Berlin (bis 9. Januar 2017) und einen Blick auf das umfangreiche Rahmenprogramm möchte ich jedem ans Herz legen, der sich für künstlerische Produktionsweisen oder einfach für das Schaffen von Pina Bausch interessiert und keine Scheu hat, ein Tänzchen in der Lichtburg zu wagen.
https://www.instagram.com/p/BKdKOs8AIIY
Doch auch allen, denen die Öffentlichkeit einer Ausstellung nicht geheuer ist, bleibt der Spaß des sich Ausprobierens nicht vorenthalten: Hier geht es zum Tutorial der „Nelken Reihe“!
Darüber hinaus lädt die Pina Bausch Foundation mit dem Projekt The Nelken-Line in Kooperation mit Arte dazu ein, diese Choreografie einzustudieren, aufzuzeichnen und seine eigene Nelken-Line als Video auf der ARTE-Plattform hochzuladen oder auf der Youtube-Playlist die Clips der anderen Nelken-Tänzer_innen anzuschauen.
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Über die Autorin
Stefanie Leinert (Kulturwissenschaftlerin, M.A.) lebt in Berlin. Nach einem Ausbildungsjahr in Neuem Tanz und ersten Studien in den Fächern Germanistik, Anglistik und Philosophie an der Universität Hannover arbeitete sie bei verschiedenen Konzertveranstaltern als Projektleiterin und freiberuflich als DJ. Ab 1999 studierte sie parallel dazu an der Universität Lüneburg im Magisterstudiengang Angewandte Kulturwissenschaften die Fächer Musik, Sprache und Kommunikation sowie Medien und Öffentlichkeitsarbeit. In dieser Zeit landete sie mit ihren Studienthemen immer wieder bei den darstellenden Künsten, so dass auch die Theaterpraxis unvermeidbar war. Sie arbeitet nun als Theaterproduzentin und schreibt gerne, aber selten.
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