Eine unbedingte Ausstellungsempfehlung und eine notwendige Social-Media-Kritik von Marc Lippuner //
Wenn man eine Ausstellung mit einem Hashtag bewirbt, liegt der Fokus des Social-Media-Marketings bei Instagram und Twitter. Möchte man meinen.
Bei #stadtderfrauen hatte das im Frühjahr hervorragend funktioniert, auf Twitter war der Hashtag im Veranstaltungszeitraum täglich präsent und bei Instagram sind mehr als 300 Fotos auf diese Weise ausstellungsbezogen markiert worden.
Bei #HGKberlin sieht es leider ein wenig anders aus. Und das ist schade, weil Harry Graf Kessler – Flaneur durch die Moderne – eine (dies sei schon vorweggenommen) wirklich großartige Ausstellung – unglaubliches Potential gehabt hätte, in den sozialen Netzwerken aufzufallen. Der Einführungstext in die Ausstellung verrät auch wieso:
Kunst und Kultur, Kunstvermittlung, Mäzenatentum, Verlagswesen, Buchkunst, Homosexualität, Dandyismus, Weltreisen, Moderne, deutsche Geschichte (Kaiserreich, 1. Weltkrieg, Weimarer Republik, Beginn der Naziherrschaft)… Jedes der Themenfelder, die Kesslers Sein und Wirken streift, wäre ergiebig genug, um einen Ausstellungszeitraum von drei (mit Verlängerung nun vier) Monaten in den sozialen Netzwerken kreativ zu begleiten. Hinzu kommen ein markantes Corporate Design, das Magenta mit Schwarz-Weiß in Schrift und Fotos kombiniert, sowie ein fantastisches Ausstellungsdesign, das unzählige Fotomotive bereithält, wie diese kleine Auswahl zeigt.
Die Ausstellung orientiert sich mit den ausgewählten Themen und Motiven an Harry Graf Kesslers Tagebüchern, die mehr als 15.000 Seiten umfassen, und damit zurecht als sein Hauptwerk gelten.
Untertags suchte Kessler nach sinnlichen Eindrücken und saugte sie regelrecht in sich auf, um sie nachts gleich einem impressionistischen Maler in all ihren détails und valeurs in seinem Tagebuch wiederzugeben. Dieser Methode spürt die Ausstellung nach, indem sie sich in den Kopfkosmos eines Menschen begibt, der das ihn umgebende Leben mit allen Sinnen aufnahm und geradezu synästhetisch beschrieb.
Dies wird besonders in den durch schwere schwarze Vorhänge getrennten, aber trotzdem inaneindergreifenden medialen Bespielungen deutlich, durch die der Besucher spazieren kann. Sie begeben sich direkt in den Text des Tagebuchs und setzen das für Kesslers Aufzeichnungen so charakteristische „Bilder-Kaleidoskop“ in Gang. Es ist eine „assoziativ-sinnliche Reise in die Welt, der die Zitate entstammen“. Die ausgewählten Tagebuchstellen rund um Kunst, Eros, Krieg und Frieden, Moderne, Glück und Vollkommenheit sind von einer wahrhaftigen Schönheit, dass man sich sofort eine Aphorismussammlung wünscht, natürlich in einer Schmuckausgabe mit Holzschnitten von Aristide Maillol, dessen wichtigster Förderer Kessler war. Da die umfangreichen Notizen nie zur Veröffentlichung bestimmt waren, bekäme man „Kessler pur“, verspricht der Begleittext zur Ausstellung.
Folgerichtig erscheint dann auch, dass sich die Konzeption der Ausstellung im Marketing widerspiegelt. Ein persönlicher Zugriff erscheint gerade für die sozialen Netzwerke ideal, nicht zuletzt, da Kessler ein „Menschensammler“ war, dessen Tagebucheinträge nicht weniger als 12.000 Personen verzeichnen. Und so ist es eine wunderbare Idee, Harry Graf Kessler in den sozialen Netzwerken wieder zum Leben zu erwecken, indem für die Ansprache auf der Facebook-Seite und dem Twitter-Account die Ich-Perspektive gewählt wurde.
Auf der vorbildlich informativen Website, deren Besuch ich für einen grundlegenden Überblick uneingeschränkt empfehle, steht:
homo communicans
Harry Graf Kessler war ein homo communicans: Mit und über Menschen zu sprechen, Ereignisse und Erlebnisse zu reflektieren war eine seiner wichtigsten Tätigkeiten. Würde Harry Graf Kessler heute leben, wäre er zweifellos über die Sozialen Netzwerke mit seiner Community verbunden.
Das liest sich bis hierin alles ganz wunderbar, warum nun also die anfängliche Kritik? Die Antwort liegt auf der Hand: Es mangelt an Kontinuität, d.h. an Bereitschaft (oder Möglichkeiten), die sozialen Netzwerke bis zum Ende der Ausstellung adäquat zu bespielen.
Anke von Heyl hat kürzlich versucht, eine Formel für erfolgreiche Social-Media-Kampagnen zu definieren:
(Aktuelles Thema) + (Spielwiese) x (kreative Impulse + ständiges Befeuern) x (starkes Netzwerk)
Mit neuen Accounts ad hoc ein starkes Netzwerk zu spinnen, ist an sich eine schwierige Sache, umso mehr braucht es Partner, die beim Etablieren der Marke und/oder des gewählten Hashtags zu helfen. ARTEFAKT Kulturkonzepte, die für die Pressearbeit, jedoch nicht für die Social-Media-Aktivitäten verantwortlich gewesen sind, haben viel getan, um die Ausstellung auch in den sozialen Netzwerken präsent zu halten. Darüber hinaus war in ganz Berlin über mehrere Wochen der Hashtag #HGKBerlin auf den magentafarbenen Plakaten präsent, fand jedoch in den sozialen Netzwerken, die vorrangig mit Hashtags arbeiten – also Twitter und Instagram – wenig Widerhall. Nun dürfte mittlerweile allgemein bekannt sein, dass gerade diese beiden Netzwerke recht pflegeintensiv sind, und dass ein erfolgreichen Agieren dort vor allem Kommunikations und Interaktionsbereichtschaft voraussetzt. Ideale Voraussetzungen also für den wiederauferstandenen Harry Graf Kessler, wenn er nur nicht allzuschnell die Lust daran verloren hätte. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass dem Original, einem Sozialnetzwerker par excellence, so schnell die Puste ausgegangen wäre.
Und so straft sich sein Twitter-Avatar selbst Lügen:
Der Account verkam nach anfänglicher regelmäßiger Bespielung und zumindest zaghaften Interaktionsversuchen zur unmotivierten Retweetmaschine, noch trauriger sieht es mit dem im Vorfeld der Ausstellung angelegten und nach zwei Beiträgen bereits wieder eingeschlafenen Instagram-Account aus, auf dem – wie auch im Twitter-Header – nicht einmal das Datum der Ausstellungsverlängerung aktualisiert wurde.
Dabei stand gerade für Instagram ja alles seit Beginn der Ausstellung zur Verfügung. Eine Zitatesammlung mit mehr als 40 instagramoptimalen quadratischen Bildern findet sich auf der Website, die beiden hochgeladenen Beiträge sind hieraus entnommen. Diese wild oder auch strategisch (z.B. schachbrettartig) mit Eindrücken aus der Ausstellung und den unzähligen Portraits Kesslers kombiniert, hätten die Vielfalt der Ausstellung wunderbar im Netz abbilden können.
Vernachlässigte oder gar eingeschlafene Accounts sind ja immer eine traurige Geschichte. Bei Kurzzeitprojekten, für die sie extra eingerichtet werden, wie es bei vielen (Sonder-)Ausstellungen derzeit der Fall ist, scheint mir eine nichtkontunierliche Betreuung ein unverzeihlicher Fehler. Warum nicht auf einen knackigen Hashtag zurückzugreifen und den Institutionsaccount im Ausstellungszeitraum beispielsweise darauf fokussieren? Warum für ein zeitlich begrenztes Projekt, das institutionell angebunden ist, überall neue Accounts aufmachen, und von vorne mit dem Followersammeln beginnen, anstatt zu versuchen, die vorhandenen Kontakte zu begeistern? In einigen Fällen mag es sinnvoll sein, projektbezogen alles neu anzulegen, für die Ich-Perspektive der Harry-Graf-Kessler-Ausstellung erschien das auch durchaus sinnvoll. Dann erwarte ich aber am Ende des Projektes ein prallgefülltes digitales Bilder- und/oder Lesebuch, das – wie ein Ausstellungskatalog auch – mit einem Fazit oder weiterführenden Hinweisen endet und das Projekt vernünftig beschließt. Ein Account also, den man als Referenz gern im Netz zurücklässt.
Denn das ist, was – so unverdient, dass es mich sogar ein bisschen wütend macht – von der so beglückenden Ausstellung im Max-Liebermann-Haus bleibt, wenn sie selbst nicht mehr zu sehen ist: Ein paar zusammenhanglos im Netz schwirrende grelle pinkfarbene Quadrate und ein Hashtag, dessen Bedeutung in naher Zukunft verblassen wird.
Wer dem unvollständigen Bild zumindest für sich selbst entgegenwirken möchte, hat noch bis Sonntag, den 25. September 2016, Gelegenheit dazu. Denn dann schließt diese – ich muss es in bester Fanboy-Manier wiederholen – beglückend fabelhafte Ausstellung am Pariser Platz. Wer es so kurzfristig nicht mehr nach Berlin schafft, der kann sich auf der Website einen guten Überblick verschaffen oder schaut mal auf der Facebook-Seite vorbei. Zur Social-Media-Ehrenrettung sollte die nicht unerwähnt bleiben. Sie wird immerhin von Anbeginn bis jetzt recht regelmäßig bespielt, und auch hier wird aus der Ich-Perspektive heraus agiert. Leider sind die rosa Quadrate, die eigentlich auf Instagram gehören, das Hauptelement der Postings, aber immerhin werden die in den Timelines, in die Facebooks Algorithmus sie gespült hat, nicht untergegangen sein. Harry Graf Kessler und seinem Verständnis von Menschensammeln, Netzwerken oder Kommunizieren wird dies alles jedoch leider nicht gerecht.
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Macht neugierig, leider komme ich bis dahin nicht nochmal nach Berlin. Mir ist auch schon aufgefallen, dass viele Leute nicht zu Ende denken, was mit einem Social Media-Account nach einer Ausstellung passieren soll. Oder einem Blog, wie dem, der extra für die Thüringer Landesausstellung #ernestiner2016 eingerichtet wurde. Die Kollegen beraten noch, hieß es am #AskACurator-Tag. Leider hast du recht, während die Ausstellungen wieder verschwinden, bleibt ihr Webauftritt erhalten. Dann ist es gut, wenn man zur Sonderausstellung eine schöne, bleibende Unterseite auf der Website hat und viele interessante Blogartikel, die bleiben.
Viele Grüße, Marlene
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Lieber Marc,
du hast gut daran getan, mal aufzuschreiben, was genau das Unbehagen ob solchen Agierens von Kulturinstitutionen im Netz auslöst. Ich habe gerade dieser Tage an anderer Stelle einen Museumschef darüber sinnieren hören, dass man sich mal wieder auf das eigentliche Metier besinnen solle. Und das sei das Forschen und das konzentrierte Ausstellungmachen. Ich kann dieses Forderung zum Teil auch verstehen. Weil es wahnsinnig viel Kraft erfordert, inhaltlich ein tolles Ding abzuliefern. Aber ich kann überhaupt nicht akzeptieren, dass die Kommunikation darüber dann als weniger wichtig bzw. teilweise sogar als Störfaktor empfunden wird.
Woher das kommt? Es ist natürlich der pure Mangel an Ressourcen. Und ein bisschen auch die Einstellung. Die Abneigung gegen das Digitale, die Masse, den Mainstream. Wage ich mal zu behaupten. Aber klar, wenn es einfach keine Aufgabenverteilung auf mehrere Schultern gibt, dann fängt man an, Prioriäten zu setzen.
Ich bin bei dir, wenn da auch Ärger hochkommt. Ist es doch so, dass man fast gebetsmühlenartig darüber spricht, was die richtigen Schritte sein könnten. Und wenn das einfach ungehört in der Luft verpufft, dann bin auch ich manchmal echt sauer. Weil es eben der Sache überhaupt nicht dienlich ist. Und die Sache ist die Kunst. Die Kultur. Die sollte nicht in der Nische, in der Versenkung oder im Elfenbeinturm verschwinden.
Danke für deinen Beitrag, der vielleicht für zukünftige Konzepte als Argumentation dienen könnte, es besser zu machen. Hoffen kann man ja mal!
Herzliche Grüße
Anke
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Lieber Marc Lippuner,
herzlichen Dank für die Rezension der Ausstellung HGK und insbesondere für die Begutachtung eines Teils der begleitenden Kommunikationsaktivitäten. Da Ihre Argumentation zum Teil sehr pointiert vorgetragen ist, möchte ich gerne noch ein paar Fakten nachzureichen, damit sich jede/r ein sachliches Bild von der Gesamtsituation machen kann.
Bei den über die Sozialen Medien von #HGK kommunizierten Texten handelt es ich in der Tat um originale, historische Textpassagen aus dem HGK-Tagebuch, die – mit Sachverstand – zusätzlich durch Hintergrundinformationen angereichert worden sind.
Der Strategie lagen folgende Überlegungen zu Grunde:
(a) Mit Twitter und Facebook sollten kommunikativ und inhaltlich mit der Website der Ausstellung verknüpft werden. Dies ist ausgesprochen gut gelungen – sowohl quantitativ wie qualitativ. Die Qualität der Kommentare spricht für sich.
(b) Der in den Sozialen Medien gelegentlich vorherrschenden Inhaltsleere sollte durch #HGK mit 100 % historischem Quellentext, wirklicher Content, entgegen gesetzt werden.
(c) Es sollten neue Zielgruppen mit dem Thema und der Technologie angesprochen werden. Aus diesem Grund wurden auch die Hintergrundinformationen beigefügt, um die historischen Passagen für die heutigen Zeitgenossen verständlich zu machen.
(d) Auch die geographische Verknüpfung der historischen Zitate mit der eigens auf der Website installierten Weltkarte – HGK hat im Verlauf seines Lebens an 1000 verschiedenen Orten sein Tagebuch geführt – hat ein Stück weit den wirklich weltgewandten HGK visualisiert.
Zur Schnittstelle zwischen konventioneller Ausstellung, den medialisierten Anteilen innerhalb der Ausstellung, der gesamten Kommunikationskampagne und den eingebetteten Web-Aktivitäten lässt sich sagen, dass nach meiner Wahrnehmung bislang nur wenige Ausstellungskampagnen so konsequent über alle Medien hinweg barrierefrei – im Sinne der Vermeidung von Medienbrüchen – gearbeitet haben: Auf allen Printmedien (Einladung, Flyer, Plakate, Postkarten, Anzeigen etc.) wurden konsequent alle Kanäle mitkommuniziert – eigentlich eine Selbstverständlichkeit; beim Blick ins Ausstellungsgeschäft eben aber doch (noch) nicht.
Dass die Schlagzahl der Online-Aktivitäten hätte noch höher sein könnten, bleibt völlig unstrittig… liegt aber nicht am Unwillen, Unvermögen oder gar Unverständnis, sondern an den vorgegebenen Rahmenbedingungen.
Dr. Matthias Henkel
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Lieber Dr. Henkel,
vielen Dank für Ihre weiterführenden Informationen.
In der Tat umfasst mein Beitrag nicht sämtliche Online-Aktivitäten, sondern fokussiert sich auf die Netzwerkarbeit. Ich habe die Website ausdrücklich gewürdigt und hoffe sehr, dass sie nicht allzuschnell aus dem Netz verschwindet, weil ich glaube, dass sie in ihrem Aufbau und der Informationsfülle Vorbildcharakter haben kann.
Das Kommunikationskonzept, wie Sie es hier darlegen, trifft auch meinen Geschmack – ein durchgängiges Corporate Design, ein einprägsamer Hashtag, eine konsequente Kommunikation aller Kanäle. Im Fall der Persönlichkeit Kesslers und im Rahmen der Kommunikationsstrategie für die Ausstellung finde ich auch eine Etablierung eigener Accounts eine wunderbare Idee. Diese wurden – und hier setzt meine Kritik an – jedoch nicht angemessen bespielt. Am deutlichsten zeigt es sich beim Instagram-Account zur Ausstellung. Schade, dass dieser lediglich angelegt, aber nicht befüllt wurde, wo doch gerade Instagram DIE Hashtag-Plattform schlechthin ist. Da darf die Frage erlaubt sein, warum der Account überhaupt angelegt wurde. Warum nicht versuchen, den Hashtag zu befeuern, indem man getaggte Fotos auf dem Facebook-Account teilt o.ä., wenn man nicht die Möglichkeiten oder das Bestreben hat, eigene Inhalte einzustellen.
In unserer Kulturfilterblase wird (v.a. auf Twitter und in den verschiedensten Blogs) viel über die Notwendigkeit der Netzwerkbefeuerung im Rahmen von Kampagnen diskutiert. Und immer wieder taucht die Vermutung auf, dass mangelnde Ressourcen (siehe Kommentar von Anke von Heyl) die Ursache dafür sind, dass das Alltagsgeschäft die wünschenswerte und großflächig geplante Kommunikation nicht vollumfänglich möglich macht: vielleicht, weil diese zeitaufwendiger ist, als man anfänglich vermutet – gerade, wenn die Beiträge informations- und faktensatt sein sollen? Bei der Sichtung der drei Accounts (Facebook, Twitter, Instagram) fällt auf, dass die Inhalte vor allem über Facebook kommuniziert wurden, während auf Twitter irgendwann nur noch reagiert wurde und auf Instagram nichts mehr passierte.
Ich bin nun vor allem auf Twitter und Instagram und weniger auf Facebook unterwegs, und ich spüre dort – wo auch sonst? – gerne Hashtags nach, wenn sie mir entgegenfallen (Bei der breiten #HGKBerlin-Plakatierung war ein Nichtbemerken nahezu unmöglich). So wurde ich auf die Ausstellung aufmerksam und so begann ich einiges zu hinterfragen. Schlussendlich summierte sich dies zum oben verfassten Fazit.
Herzliche Grüße, Marc Lippuner
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