von Anne Aschenbrenner //
Gemeinsam mit dem Residenztheater München, dem Vordenker-Theater, wenn es um Digitales geht, haben wir im Mai versucht, durch digitale Begleitung einer Produktion einen neuen Blick aufs und einen anderen Zugang zum Medium Theater zu schaffen.
Dazu sagt Ingo Sawilla, Social-Media-Verantwortlicher des Resi:
Kulturfritzen leben Theater und/im Internet. Deshalb waren sie die idealen Komplizen für diesen kleinen Versuch einer Snapchat-Berichterstattung aus dem Theater, auch und vor allem, weil sie gerne und viel mit Snapchat rumexperimentieren und dort sehr aktiv sind.
Anlass für die Kooperation war ein Gastspiel des Residenztheaters in Wien: Am 21. feierte Oliver Frljićs Skandal-Stück Balkan macht frei seine Wien-Premiere im Werk X, das Stück wurde am 22. Mai noch ein zweites Mal gezeigt.
Als Wiener Kulturfritzi begleitete ich Probe und Premiere dieses Gastspiels live auf zwei Kanälen: Twitter und Snapchat.
Snapchat mit seinem Live-Charme bot sich als idealer Kanal an, Twitter sollte ergänzend eingesetzt werden. Am Ende ergaben sich so zwei Geschichten, eine auf Twitter unter dem Hashtag #BalkanMachtFrei und eine auf Snapchat. Wer das Experiment auf beiden Kanälen verfolgte, erhielt so ein ziemlich umfangreiches Bild des Gastspiels, live und unmittelbar.
Vorbereitungen und Ablauf
Vorangegangen waren der Aktion einige Mails und Telefonate mit Ingo Sawilla. Ich erhielt Basis-Infos zum Stück, das in München für einigen Aufruhr gesorgt hatte. Mit dem Dramaturgen Götz Leineweber bekam ich einen „Türöffner“ zur Seite gestellt, der mich dem Team vorstellte, all meinen Fragen Rede und Antwort stand und sich trotz der Arbeit, die das Gastspiel für ihn mitbrachte, wunderbar um mich kümmerte. (Danke!)
Eine Theaterproduktion live ins Netz zu tragen, ist eine große Herausforderung, vor allem wenn einem Team und Stück nicht vertraut sind. Während ich im Museum einen Raum zurückgehen kann, um (egal für welchen Kanal) ein besseres Foto zu schießen, um eine Erklärung nachzuliefern, während ich mir im Museum alle Zeit der Welt nehmen kann, um nachzudenken, passiert im Theater alles im Moment. Selbst wenn ich das Stück gut kenne: Was während der Vorstellung passiert, ist immer einzigartig und nicht vorhersehbar. Eine Story zu kuratieren, erfordert daher 150 Prozent Konzentration über den gesamten Zeitraum: Man muss das Geschehnis verfolgen, nach Erzählenswertem filtern, für den Kanal übersetzen – und alles möglichst gleichzeitig.
Im Werk X musste ich mich zusätzlich mit dem Technischen herumschlagen: Das WLAN war denkbar schlecht, Snaps für die Warteschleife zu produzieren, hat nicht funktioniert.
Nach der Premiere bekam ich dann einen Hotspot vom Theaterhaus zu Verfügung gestellt. Gelöst habe ich die verfahrene Situation so, dass ich während der Probe vor allem auf Twitter zurück gegriffen habe – einerseits braucht die App nicht so leistungsstarkes Netz wie Snapchat, andererseits kann ich hier leichter produzieren, speichern und später posten.
Durch erklärende Snaps habe ich versucht, Überleitungen zu schaffen, um so die Geschichte beständig weiter zu erzählen.
Der Abend
Die Premiere in Wien ging, wie auch schon Premiere und auch die weiteren Vorstellungen in München, mit viel Aufregung einher (eine Kritik zur Münchner Premiere findet Ihr hier). Schon bei der ersten großen Publikumsbeschimpfung verließen auch in Wien die ersten Zuseher das Theater, und auch später im Stück gingen immer wieder einige aus dem Saal, mehrere enterten die Bühne und griffen ins Geschehen ein, es gab viele Zwischenrufe. Die Aufregung hielt bis nach dem Stück an, im Foyer wurde dann heftig diskutiert. Ingo hatte mich bereits auf Reaktionen dieser Art vorbereitet – und hat freilich auch genau deshalb Balkan macht frei für die Aktion Resi trifft Fritzi vorgeschlagen.
Auch im Foyer war Snapchat schwierig einzusetzen – als reines Interview-Tool ist die App naturgemäß unbrauchbar. Publikumsreaktionen habe ich dann snapweise zusammengefasst, einige O-Töne konnte ich aber erhaschen. Den Theaterdirektor Harald Posch zu interviewen, war da etwas einfacher: Ich habe ihm die Frage gestellt, erklärt, dass die Antwort maximal zehn Sekunden dauern darf und nach einigen gescheiterten Versuchen hat das auch geklappt. Ein Journalistinnentraum: Wer hat schon einen Interviewpartner, der in zehn Sekunden auf den Punkt kommt! 😉
Die intensive digitale Arbeit, die Ingo Sawilla am Residenztheater betreibt, kam mir während der des gesamten Abend zugute: nirgendwo musste ich mich erklären. Von den Schauspielern bis zu den Technikern brachten mir alle bedingungsloses Vertrauen entgegen, überall durfte ich hinein schnuppern, meine Angst zu stören war durchwegs unbegründet.
Die zweigleisige Begleitung durch Twitter und Snapchat hat sich als optimal herausgestellt: Ich konnte in Teilen ein unterschiedliches Publikum bespielen, wer beiden Kanälen folgte, erhielt ein noch umfangreicheres Bild. Auch Ingo Sawilla, der die Aktion von München aus nicht nur verfolgt, sondern auch auf den Kanälen des Residenztheaters immer wieder darauf hingewiesen hat, sagt:
Gerade in Kombination von Snapchat zusammen mit der Twitter-Berichterstattung hat sich so ein spannender und vielschichtiger Blick auf das Gastspiel ergeben, das vor dem Hintergrund der Bundespräsidentenwahl aus österreichischer Sicht umso interessanter war.
Die Dokumentation
Ist es auch prinzipiell für uns Kulturfritzen wenig reizvoll, Snaps auf YouTube hochzuladen (wir finden der Charme geht dabei ein wenig verloren), so speichern wir immer wieder einige unserer Snapstorys ungelistet auf YouTube, um Material für Vorträge und Workshops zu haben. Auch die Geschichte Fritzi trifft Resi haben wir als Pilotprojekt gesichert:
Reaktionen
Die Reaktionenen auf beiden Kanälen waren außergewöhnlich viele, vor allem auf Snapchat habe ich unzählige Nachrichten bekommen, Textmessages wie Videobotschaften – Feedback, das glücklich macht. Eine Zuschauerin schickte mir ein Video, sie war darauf schon im Pyjama zu sehen und bedankte sich überschwänglich für die Berichterstattung. Eine andere Snapchat-Zuschauerin schrieb mir am nächsten Tag: „Wäre ich in Wien gewesen, ich hätte mir sofort eine Karte für die Vorstellung am darauffolgenden Tag gekauft.“
Auch Residenztheaters sowie Werk X zeigten sich sehr zufrieden, weiteren Aktionen zeigt man sich da wie dort aufgeschlossen.
Persönliches Resümee
Wir Kulturfritzen, sowohl in Wien als auch in Berlin, haben Geschmack gefunden an solcherlei Herausforderungen. Daher möchten wir Kulturinstitutionen ermuntern, sich bei uns zu melden, gerade, wenn sie Teil von Snapchat und oder Twitter sein wollen oder es einfach mal ausprobieren möchten, aber nicht die Kapazitäten haben, es regelmäßig zu bespielen. Wir kommen gerne vorbei!
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Super, das ist Pionierarbeit. Weiter so!
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