#Gruftwandeln zwischen Maschendraht und Bauzaun. Ein Besuch auf dem Friedhof Pankow II. //
Seit wir Ende Mai unser Plädoyer fürs #Gruftwandeln veröffentlicht haben, erfreut sich der Hashtag immer größerer Beliebtheit und das – whoohoo! und hurra! – auch über unsere Filterblase hinaus. Wunderbar, dass sich ein Terminus so schnell verselbständigt: #Gruftwandeln allerorts – wir lieben es und lesen es und verfolgen mit Freude, wohin das Ganze – nicht nur auf Twitter – wohl noch führen wird.
Auch wir möchten weiter unseren Beitrag leisten, um die Popularität des #Gruftwandelns zu steigern, indem wir künftig und in loser Folge auf diesem Blog Berliner Friedhöfe vorstellen. Einige Friedhofsbesuche werden wir mit Aktionen wie Tweetups oder Instawalks zu verbinden versuchen, manchmal werden es aber auch nur kleine bebilderte Beiträge wie dieser hier sein.
Zu entdecken und erzählen gibt es genug, denn im Gegensatz zu Wien oder Paris gibt es in Berlin keine Zentralfriedhöfe. Die Anfang des 20. Jahrhunderts gereiften Planungen, vier Großfriedhöfe am Großstadtrand anzulegen, blieben aufgrund der weltpolitischen Ereignisse der zehner und zwanziger Jahren unausgeführt, und so verteilen sich heute über 220 Fried- und Kirchhöfe im gesamten Berliner Stadtgebiet: 79 sind als Gartendenkmäler registriert, zahlreiche geöffnet, viele mittlerweile geschlossen, einige von ihnen nach Ablauf der Ruhefristen nicht einmal mehr pietätsbefangen.
Der zweite Pankower Gemeindefriedhof in der Gaillardstraße wurde erst 2004 geschlossen – sonderlich pietätvoll umgegangen wird mit ihm und auf ihm jedoch nicht. Die Ruhefrist währt noch zehn Jahre, und doch scheint sich kaum noch gekümmert zu werden, angesichts der überwucherten Wege, Grabstellen und gekippten Grabsteine.
Viele Gedenksteine ziert ein „Unvergessen“, das zwischen vertrockneten Nadelhölzern und verbrannten Gräsern zur hohlen Phrase erstarrt. Nur selten – genau genommen auf drei von hunderten von Gräbern – finden sich frische oder zumindest noch nicht ganz verwelkte Blumen. Viele Besucher verirren sich nicht hierher: Grabstättenüberwuchernde Brombeerhecken tragen schwere Früchte, Spinnenweben versperren die schmaleren der angelegten Wege.
In der südöstlichen Ecke des Geländes mahnt die Friedhofsverwaltung abgelaufene Nutzungsrechte an, der Bereich ist bereits ausgedünnt, Grabsteine liegen achtlos aufgehäuft, andere sind mit neonfarbenen Markierungen besprüht (oder geschändet). Hinter ein paar Koniferen verwesen Picknickreste, wahrscheinlicher noch ist es Diebesgut (wer lässt sonst seine guterhaltene Globetrotter-Fahrradtasche einfach herumliegen?), das da vor sich hin gammelt.
Der mit einer Gesamtfläche von etwas über einem Hektar relativ überschaubare, von Wohnhäusern umgebene Friedhof ist wahrlich kein besonderer mehr. Vielleicht war er es auch nie. Er wurde 1872 eingerichtet; von Grabsteinen, Grüften oder Mausoleen (so es sie je gab) ist aus dieser Zeit nichts mehr erhalten. Es gibt auch kein dekoratives Eingangstor, keine Friedhofsmauer, nur ein Maschendrahtzaun begrenzt das Gelände. Seit der Friedhof nur noch für Urnenbeisetzungen genutzt werden durfte (also nicht vor 1911), fehlen hier exklusivere Grabstellen, liest man und mag nicht glauben, dass hier mal wirklich Exklusives stand. Bereits mit der Eröffnung des nordwestlich des Bürgerparks gelegenen dritten Pankower Friedhofs 1905, soll eine Beisetzung an der wohnungsbebauten Gaillardstraße an Attraktivität verloren haben. Die ältesten auffindbaren Steine sind aus den dreißiger Jahren, die meisten Grabinschriften wurden zu späteren DDR-Zeiten gemeißelt, die Steine sind künstlerisch unauffällig gestaltet, viele ähneln sich, die Angaben sind spärlich, oft fehlen sogar die Geburts- und Sterbedaten, manchmal sogar die Vornamen. Eine Pilgerstätte für Promijäger ist diese Grünanlage auch nicht, die Gräber der wenigen hier bestatteten bekannten Persönlichkeiten sind nicht zu finden.
Das einzige Schmuckstück des Friedhofs ist die 1876 in Schinkelscher Anlehnung errichtete Kapelle eines unbekannten Architekten. Sie steht seit dem Jahr 2000 unter Denkmalschutz.
Viel nützt ihr diese Adelung nichts. Sie verfällt, umgeben von einem schmucklosen Bauzaun, an dem Efeu sich anfängt festzusetzen. Ein Sanierung ist nicht in Sicht, vielleicht wird die Entwidmung des Geländes ihre Rettung sein? Wenn die freigewordene Bestattungsfläche zum Bauland deklariert wird und neue Eigenheimwohnungen entstehen, solche, wie sie gerade jede Baulücke in der Gegend schließen… Vielleicht lässt sich dann das denkmalgeschützte Gebäude zu einem historischen Schmuckstück im Areal herausputzen? Vielleicht fährt aber auch aus Versehen ein Bagger dagegen.
Dass der Friedhof geschlossen wird, ist nur eine Frage der Zeit. Je schneller desto besser, vermutlich. Für Bezirk und Bauträgerkandidaten zumindest.
Umbettungen zum Friedhof Pankow III sollen bereits angefragt sein.
Nun liegt es vielleicht an Betty S., die das Schicksal des Hektars Land in der Gaillardstraße in der Hand hat. Sollte die 106 Jahre alte Dame von ihrem Nachbeisetzungsrecht Gebrauch machen, dürfte der Friedhof – zumindest teilweise – noch mindestens 30 Jahre (20-jährige gesetzliche Ruhefrist plus zehnjährige Nachruhezeit) erhalten bleiben.
Vielleicht haben die Nachfahren aber auch – entgegen der eingemeißelten Feststellung – das Unvergessene vergessen, und Betty S. ruht bereits ganz woanders.
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Zur Information:
Sämtliche Fotos dieses Blogposts sind von Marc Lippuner am 16. August 2015 aufgenommen worden. Mit einem Klick auf die Fotos bekommt man eine vergrößerte Ansicht. Das könnte u.U. ganz hilfreich sein.
Es wäre schön, wenn die Fotos nicht ungefragt weiterverwendet werden.
Die Auswahl der hier verwendeten Links ist nicht willkürlich, aus Mangel an geeigneten Online-Quellen könnte jedoch dieser Eindruck entstehen.